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Katholische Gemeinde Leegebruch, heute: St. Petrus, 1/2

St. Petrus in Leegebruch zwischen Oranienburg und Velten beinhaltet in seiner Geschichte viele Aspekte, die es für eine spannende Erzählung braucht: Nazis, DDR-Diktatur, einfache Menschen und nicht einfache, katholische Kirche und die einst jüngste Gemeinde im Bistum Berlin. Also: eine kleine Gemeinde in einem ruhigen Ort als Beispiel für große Zusammenhänge der Zeitgeschichte – aus Mikro wird Makro, sozusagen.

In der katholischen Kirchenzeitung für den Osten des Bistums, stand wenige Jahre nach der Kirchenweihe, am 22. Mai 1955:

„Die Kirche selbst ist ein Kleinod, alles in ihr ist klar, sauber und hell!“

(Hedwigsblatt, Nr. 26.1959 vom 28.6.1959)

Dies ist übrigens bis heute so und war auch mein erster Eindruck. Aber wie kam es dazu, dass im märkischen Sand zwischen Oranienburg und Velten vor 70 Jahren, diese Kirche geweiht werden konnte? In diesem Ersten Teil ist die Vorgeschichte zum heutigen Kirchenbau thematistiert.

Kleine Geschichte von Leegebruch

Titel Heinkel Werkzeitung, Nr. 22/1937, die Angaben zu den Produktionsorten, weisen nun auch Oranienburg auf.
Q: https://bunkerbooks.weebly.com/1935-1938—heinkel-werkzeitung.html

Erst 1928 entstand in einem entwässerten Forst eine kleine, 250 Einwohner zählende, Gemeinde mit dem Namen Leegebruch. Der Name steht für ein niedrig gelegenes Sumpfgebiet und war bereits eine Bezeichnung der Stelle im 17. Jahrhundert. In der Nazi-Zeit kam es 1935 zu Entscheidung einer Erweiterung der Heinkel-Werke bei Leegebruch. Mit nur einem Jahr Bauzeit entstand das Werk und große Teile der dazugehörigen Siedlung.

Blick in eine fertige Werksiedlungsstraße 1938, Q: https://www.geschichtsverein-leegebruch.de/beitrage-zur-ortsgeschichte

Diese sollte schließlich 1200 Siedlungsstellen in Doppel- und Einzelhäusern mit großen Gärten bieten. Übrigens, unterschiedliche künstlerische Hauszeichen aus Keramik individualisierten die Häuser und halfen beim Wiederfinden eines Wohnortes.1939 sind es gut 7000 Menschen darunter ca. 850 Katholiken, deren Zahl in den 1950ern bis auf gut 1200 Gläubige ansteigen wird.

Ruine der „Einfliegehalle“, Für Testläufe auf dem Flugplatz des Heinkel-Werkes bei Oranienburg und Leegebruch, Foto: K. Manthey 2023

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es nur noch wenig Arbeit, denn die Rüstungswirtschaft war nun Geschichte. Etliche Familien zogen somit zurück in ihre Heimat. Vertriebene Sudetendeutsche gründeten eine Messerschmiede als neue Produktionsstätte ebenso entstanden weitere kleine neue Betriebe (mehr über die Messerschmiede hier, extern). Mit der nächsten großen politischen Wende, um 1990, kam wieder ein Knick. Nun schlossen die Messerschmiede und andere Gewerbe. Jedoch in der Folgezeit entwickelte sich der Ort weiter. Ein kleiner Bauboom kam auf, so dass bis heute ca. 6700 Menschen hier wohnen und alles Notwendige vor Ort ist, eingebettet in viel grün.

Die katholische Gemeinde und ihre Geschichte

Leegebruchs Geistliche

Ursprünglich war die Gemeinde dem Herz Mariä geweiht. Mit der Siedlung entstand 1938 ein Lokalie mit einem Kaplan aus der Muttergemeinde St. Joseph in Velten. 1947 wurde daraus eine Kuratie im Pfarrverband mit der Muttergemeinde. Dabei wurde den Leegebrucher Geistlichen das Recht der pfarramtlichen Handlungen zugestanden.

Die Mutterkirche, St. Joseph in Velten, historische Ansichtskarte, Q: Slg. Manthey

Endlich (1952) wurde die Katholiken dort vermögensrechtlich selbstständige Kuratie, als Leiter fungiert nun schon ein Pfarrer. Die Geistlichen vor Ort waren: Lokalkaplan Franz Radtke (ab 1.11.1938) darauf Kurt Grunschewski, bis 1952. Nun folgte Kuratus Joseph Krause dann Georg Ketz. Ab 1960 als Pfarrerkurat Joseph Dzierzon, Johannes Schreiber und als letzter eigener Priester trat Pfarrer Horst Herrfurth, 1981, dort sein Amt an. Schließlich wurde die große Selbständigkeit in Folge der Bistumskrise aufgehoben, so dass die Kuratie zum 1.7.2004 mit Herz Jesu in Oranienburg fusionierte.

Entstehung der Gemeinde

Ursprünglich war die Werkssiedlung für 12–15000 Menschen geplant, also noch einmal doppelt so viele. Dabei gingen die Verantwortliche in der Kirchenleitung und bei den Bauherren von einem geschätzten Katholikenanteil von 15% aus. Daher sollte auch eine Kirche entstehen. Am 1.11.1938 kommt ein erster Seelsorger, Franz Radtke. Dieser war zuvor Schriftleiter des Katholischen Kirchenblattes im Bistum Berlin, welche die Nazis nun endgültig verboten hatten. 1943 wurde ihm die Pfarrei St. Joseph Weißensee verliehen. Aber bei seinem Ankommen in Leegebruch vermerkt der fleißige Chronist über die Katholiken vor Ort u.a.:

„Es sind durchweg arme Leute, deren einziger Reichtum ihre zahlreichen Kinder sind.“

(Q: Hedwigsblatt, 1959/26)

Den Kinderreichtum bewahrten sich die Leegebrucher auch noch bis in die 1950ziger Jahre. Die Siedlung wuchs, Radtke berichtete im Herbst 1938, da man sich vor Ort wegen des Neubaus einer katholischen Kirche mit allen Beteiligten einig sei vom Bürgermeister, über die Werksleitung, die Baufirmen bis hin zum evangelischen Pfarrer, denn:

„Inzwischen sind schon wieder 45 Familien gekommen, darunter werden sicher auch katholische sein. Über 400 Wohnungen stehen noch leer, sollen aber bis 1. April 1939 bezogen werden. Bald wird noch eine Schule gebaut werden für etwas 20 Lehrkräfte.“

(ABW, Mappe Leegebruch, Brief Radtke an GV, 11.10.1938)

Das Kirchbauprojekt

Dabei waren Anfang 1939 das Geld und die Pläne für den Bau bereit. Als Geldgeber war die Röckerathstiftung gewonnen, eine Tochter des Bonifatiusvereins. Sie hatte 50.000 RM zugesagt. Zudem hatte man sich bewusst an den Architekten der Siedlung Herbert Rimpl (1902–1978) gewandt. Damit es keine weiteren Verzögerungen gab.
Doch im Jahr 1940 war der Bau undenkbar geworden. Das mögliche Baugrundstück wurde öfter ad hoc geändert und somit der Baubeginn verzögert, wie sich später herausstellte war das die Schikane des NS-Ortsgruppenleiters. Zudem war Deutschland nun im Krieg und auch Kirchen in Kriegswichtigen Siedlungen wurden nun zurückgestellt. Gisbert Augsten überliefert in seiner Schrift, Die katholische Kirche St. Petrus zu Leegebruch, 2005 Entwürfe aus dem Büro Rimpl von 1940, diese sind jedoch bei ihm als Nachzeichnungen überliefert.

Nachzeichnung eine Entwurfs für die Katholische Kirche aus dem Büro Rimpl, 1940.
An die Kirche ist ein langgezogener, L-förmiger Anbau für die Gemeinderäume geplant. Hier erkennbar durch den hinterm Chor herausragenden Bauteil.
Q: Augsten, Die kath. Kirche St. Petrus zu Leegebruch (=Leegebrucher histor. Blätter, Heft 2), 2005, S. 12.

Festzuhalten ist, dass Berliner katholische Kirchenbauvorhaben ab 1936 sehr erschwert waren und nach 1938 nahezu unmöglich. Sämtliche Geschehnisse bündelten sich nun im Bischöflichen Bauamt und bei Carl Kühn. 1938 gab es die letzte bekannte amtliche Äußerung zu Baufragen. Die Pfarrer wurden noch einmal ermahnt, den Bau erst zu beginnen, wenn alle Genehmigungen erteilt waren und das Geld verfügbar war, da eine Zwischenfinanzierung für die Fälle mangelnder Liquidität „außerordentlich schwierig“ sei. Ein deutlicher Hinweis für die steigenden Schwierigkeiten, Darlehen für Kirchenbauvorhaben in der Vorkriegsphase zu erhalten. Doch auch in Fällen mit gesicherter Finanzierung, wie bei dem Leegebrucher Vorhaben bei Oranienburg, kam es zu keinem Kirchenbau mehr. Die wenigen Ausnahmen, wie die Fertigstellung von St. Konrad in Berlin-Falkensee bis 1940, auch eine Siedlungskirche.

Herbert Rimpl, Werksarchitekt

Herbert Rimpl, Q: www.architekten-portrait.del

Aber kurz zu Rimpl, eine weitere schillernde Person im Zusammenhang mit dem Kirchenbau in Leegebruch. Er wurde 1902 in Schlesien geboren und starb 1978 in Wiesbaden. Nach dem Studium in München, 1922-26, wo Rimpl u.a. bei Th. Fischer lernte und dessen Büro mitarbeitet, folgte die Anstellung bei der Stadt Augsburg. Dort war er für öffentliche Bauvorhaben u.a. für die Post zuständig. 1929-33 war er als Projektleiter von D. Böhm in Hindenburg (Zabrze, Schlesien) tätig und dann als Kustos für den Kunstverein Augsburg. Bereits 1934 tritt er in die NSDAP ein. Im selben Jahr leitet der Architekt die Konstruktionsabteilung der Heinkelwerke mit 700 Mitarbeitern.

Schließlich wird Rimpl Chefarchitekt u.a. für Hermann-Göring-Werke (in Linz, Salzgitter und Leegebruch). Zudem kommt er 1944 in den Stab von Albert Speer. Vor allem die Verlegung der Rüstungsindustrie in Stollen von Bergwerken wird dort seinen Aufgabe sein. Nach der Entnazifizierung arbeitet er alsbald in der BRD als Architekt. Bei dem Projekt der katholischen Siedlungskirche in Leegebruch scheint es bereits Entwürfe gegeben zu haben, zum einen von Rimpl. Weiterhin sind Skizzen von Carl Kühn wahrscheinlich. Der Diözesanbaurat lieferte immer wieder, selbst bei vergebenen Projekten, eigene Entwürfe.

Vorläufige Gottesdienstorte in Leegebruch

In Leegebruch hielt man die Gottesdienste also weiterhin in einer Dachkapelle im Siedlungshaus des Geistlichen. Dort hatte die Gemeinde unter der künstlerischen Leitung des „Allerweltkünstlers“ Rudolf Heltzel eine Marien-Kapelle eingerichtet, mit eigener Marienfigur (Verbleib unklar). Jedoch war diese schnell überfüllt. Große Feste wurden weiterhin in der Mutterkirche St. Josef in Velten abgehalten. Seit März 1939 kamen Schönstätter Marienschwestern aus Velten mit dem Fahrrad, um Kuratus Radtke in der Seelsorge zu unterstützen. Sie spielten eine sehr wichtige Rolle im Gemeindeaufbau, von der Arbeit mit Kindern, Familien bis hin zur Pflege usw.

Typisches Siedlungshaus, in solch einem Gebäude lebten die ersten Geistlichen, Unter dem Dach gab es die Kapelle mit Ausstattung von Rudolf Heltzel, Foto: K. Manthey 2023

1942 zählte man zu Weihnachten in der Messen 340 Kirchenbesucher in der kleinen Kapelle unterm Dach. Wer die Siedlungsdoppelhäuser und ihre Dächer gesehen hat, kann sich dies kaum vorstellen. Außerdem befahlen nun die NS-Oberen des Ortes, dass die Gottesdienste bei geschlossenen Fenstern und Türen abzuhalten seien. Damit den Volksgenossen nicht zu viel zugemutet werde. Generell hatten die Geistlichen viele Auseinandersetzungen mit den neuen Machthabern. Mit dem 2. Geistlichen Kurt Grunschewski, später Pfarrer in Wandlitzsee und Niederschönhausen, konnte ein weiteres Siedlungshaus angemietet werden. Dort kam 1946 die neue Schwesternstation hinein. Ebenso entstand im Erdgeschoss die neue Kapelle, mit dreimal so viel Raum.

Rückansicht des heutigen Gemeindehauses, hier war die 2. Kapelle, Foto: K. Manthey 2023

Darüber berichtete die Bistumszeitung für den Ostteil der Diözesen, das Hedwigsblatt:

„Einweihung einer neuen Kirche in Leegebruch bei Velten.

Sr. Eminenz der Kardinal wird am Sonntag, dem 7. April um 10.30 Uhr in Leegebruch bei Velten einen neuen Gottesdienstraum weihen und seine Pontifikalmesse zelebrieren. Fast 8 Jahre mussten sich die Leegebrucher Katholiken (1000 Katholiken, darunter 490 Kinder) mit einer kleinen Kapelle im Dachraum eines Siedlerhäuschens begnügen. Nun gelang es dem Seelsorger der Gemeinde ein Siedlungshaus zu mieten und mit Hilfe von Leegebrucher Bauhandwerkern zu einer würdigen Kirche umzubauen. Als erste Kirche des Bistums wird sie dem Unbefleckten Herzen Mariä geweiht sein.“

(Q: Hedwigsblatt 1946/13)

Die neue Kapelle im Siedlerdoppelhaus, Herz Mariens, geweiht 1946
Q: Bildarchiv P. Erbe

Dies war übrigens die erste Kirchenweihe nach dem Zweiten Weltkrieg im nun geteilten Bistum Berlin. Jedoch war es immer noch ein Notbehelf und die Katholiken vor Ort, waren fest entschlossen eine das lange angedachte Gotteshaus zu realisieren. Es ist schon etwas besonderes, wie engagiert die kinderreichste Gemeinde des Bistums war, wenn es um einen geeigneten, würdigen Sakralraum ging! Im zweiten Teil geht es dann, um die errichtete Kirche…

Der Glockenträger der 2. Kapelle in einem Nebengebäude, Foto: K. Manthey 2023

Weiterführendes

Die Gemeinde auf den Pfarreiseiten:
https://www.maximilian-kolbe-oberhavel.de/oranienburg–leegebruch/standorte/st-petrus-leegebruch

Über die Hauszeichen der Siedlung in Leegebruch

Biografische zu Herbert Rimpl auf den Seiten von Jan Lubitz
https://www.architekten-portrait.de/herbert_rimpl/index.html

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