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neunzehn21: St. Michael, Kreuzberg

St. Michael Kreuzberg ist die jüngste katholische Kirche in diesem Berliner Stadtteil. Dabei ging die Geschichte für diesen Gemeindeteil als erstes los. Der Bereich unweit des ehemaligen Luisenstädtischen Kanals war einst Teil der Stadterweiterung auf dem Köpenicker Feld. Dort sollte auch die zweite katholische Kirche nach der Reformation in der preußischen Residenzstadt entstehen, St. Michael. Zwar zuerst als Garnisonkirche doch alsbald schon als Ort einer Zivilgemeinde. Diese Gemeinde wuchs, um 1900 waren es bereits mehr als 20.000. Meist einfache Arbeiter und Hausangestellte. Mehrfach wurde die Pfarrei aufgeteilt. So entstand z.B. ebenfalls die St.-Marien-Liebfrauen-Kirche in der Wrangelstraße in Kreuzberg. Kurzum: der größte Teil der Michaelsgemeinde war im Kreuzberger Teil. Von dort erlebte man die Zerstörung der Kirche im Februar 1945. Darüber hinaus versuchte man beim Wiederaufbau zu helfen, trotz politischer Trennung. Als die Gemeinde 100jähriges Bestehen der Kirche feierte war sie bereits durch die Berliner Mauer entzweit.

Blick durch das ehemalige Dach im Querhaus von St. Michael Mitte um 1946, Q: Bilderchronik St. Michael Mitte

Nun also fand man sich im Grenzstadtbezirk West-Berlins wieder. Seit den 1950er Jahren feierte die Michaeliten West ihre (Sonntags-)Gottesdienste im Bethanienhaus. Weiterhin wurde am Mariannenplatz ein Grundstück erworben, dort richtete man ein Pfarrhaus und die Werktagskapelle ein. Seit den 1960er Jahren suchte die Gemeinde ein Areal für ein größeres Gemeindezentrum. Da man sich weiter mit der eigentlichen Kirche verbunden fühlte, sollte es einen Blick über die Mauer zur St.-Michael-Kirche in Mitte geben. Ebenso sollte dort ein einfacher Gottesdienstraum entstehen, der nach einer Wiedervereinigung der Gemeindeteile als Saal genutzt werden sollte. Schließlich kam es zu dem heutigen Grundstück Waldemar-/ Ecke Dresdener Straße.

Der Blick zur Mutterkirche von einem Fenster des Gemeindezentrums in Kreuzberg, um 1979, Q: Streicher/ Drave: Berlin Stadt und Kirche, 1980

Das Bauprojekt

Schon für ein anderes Grundstück am Leuschnerdamm, hatte die Gemeinde 1960 drei Architekten um Vorentwürfe für ein Gemeindezentrum gebeten. Davor hatte eine Dreierrunde aus dem beratenden Architekten des Gesamtverbandes der Katholischen Kirchengemeinden, Josef Weber, dem Bauleiter an St. Hedwig Blümel und einem Bauingenieur aus der Gemeinde Herr Preis ein Bauprogramm zusammengestellt. Dabei sollte ein Kinderhort entstehen, hingegen der Kindergarten an St. Michael in Mitte verbleiben (ein Zeichen für das Zusammendenken in der Gemeinde).

Modell des Bauvorhabens von Hans Schaefers, Foto. Harry Wagner, um 1960, Q: ZR EBO
Gut erkennbar ist der Glockenträger im Vordergrund.
Grundriss des Saals, Q: Streicher/ Drave, BSK 1980

Schließlich kommt es zu einem Bauprojekt am neuen Bauplatz Dresdener Ecke Waldemarstraße. Dort wird ein schlichtes aber gestalterisch anspruchsvolles Projekt realisiert. Zwar ist die Kirche als späterer Gemeindesaal konzipiert, jedoch ist sie ihr sachlicher Baukörper hervorragend. Abgetreppt in drei Stufen stellt dieser eine architektonische Skulptur dar. Der Grundriss bildet übrigens ein Antoniuskreuz (T-Form) ab. Außerdem zeigen Modellfotos, dass ein Glockenträger vor dem Kirchportal und dem Gemeindezentrum angedacht war. Dieser wurde nie errichtet. Die Bauweise ist zeittypsich ein Stahlskelett mit Ziegelsteinen ausgefacht. Als Architekt konnte der in Berlin erfolgreiche und bekannte Hans Schaefers (1907-1991) gewonnen werden.

Richtfest Oktober 1964, Q: Petrusblatt 43/1964 vom 25.10.1964

Der Architekt Hans Schaefers

Hans Schaefers gründetet 1937 in seiner Heimatstadt Berlin ein eigenes Büro. 1957 konnte er mit dem Neubau für die Lebensversicherung Volkshilfe erstmals eine größere Aufmerksamkeit erreichen. Weitere Bauten für den Berliner Zoo sowie Bürohäuser folgten. Er war Mitglied des BDA Berlin. Dort war er zeitweise im Vorstand aktiv. Darüber hinaus stiftete er den gleichnamigen Preis zur Förderung junger Architekten. Dieser wurde erstmalig 1992 vergeben. Übrigens ist im Wikipedia-Artikel zu lesen, dass der Entwurf von Rudolf Schwarz stamme. Dies wäre zwar eine kleine Sensation, ist aber nach Sichtung der dort angebenen Quellen und verschiedenen Akten zur Bauzeit für mich nicht zu verifizieren. Vielleicht kam es zu einer Verwechslung mit einem anderen Schwarz-Projekt in Berlin.

Innenraum, Aufnahme vor 2000, Q: Bildarchiv EBO

Der Innenraum von St. Michael, Kreuzberg

Betritt man die Kirche durchläuft man einen Eingangsbereich, darin befindet sich ein Nutzraum zwischen den beiden Durchgängen, dann steht man im Kirchenraum unter der Empore und blickt auf die Altarinsel vor einer weißgetünchten Mauerwand. Reste des Altarbogens der Mutterkirche spannen eine Bogen an der Wand. An verschiedenen Stellen der Kirche sind Überreste der St.-Michael-Kirche in Mitte, einige hundert Meter entfernt, eingebracht (z.B. am Lesepult oder Taufstein). In den 1970er Jahren kam die Bronzeplastik von Carl Blümel aus dem Jahr 1922 in die Kreuzberger Kirche. Diese stammt aus der Mutterkirche und wurde dort vor der Zerstörung bewahrt. Da dies über verschiedene Stationen im Westteil Berlins verlief, konnte die Abbildung des „Schmerzensmanns“ ebenso als „Christus im Elend“ bekannt 1976 in das Gemeindegebiet zurückkehren. Dort war er an einem Vierungspfeiler als Mahnmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs aufgestellt.

Carl Blümel, Christus im Elend (Schmerzensmann), um 1921, Q: Bildarchiv EBO

Ursprünglich wies die Kirche Bänke auf, nun sind es vorrangig Stühle. Dabei war die Aufstellung kaum hierarchisch die Plätz sortieren sich um den mit einer Stufe erhöhten Altarbereich. Der Raum hat durch die vielen Fensterflächen eine helle Wirkung. Davon ist übrigens das Oberlicht, die dritte Stufe des Baus, am beeindruckendsten. Darüber hinaus gibt es Glasbetonsteine, so z.B. in der sogenannten Seitenkapelle.

Wandbild der Bernauer Straße, Aufnahme vor 2000, Q: Bildarchiv EBO

Seit 2004 befindet sich dort die Jugendkirche SAM. Dort wo als Fries die Hausfassaden der Bernauer Straße (Öl auf Tempera) hingen, mit Gedenkkreuz für Bernd Lünser eines der ersten Todesopfer der Mauer, befindet sich nun ein besonderer Kreuzweg (Link zur Künstlerseite). Dieser stammt ursprünglich aus der Krypta von St. Joseph im Wedding. Dort gestaltete der italienische Künstler Roberto Cipollone (Jg. 1947) eine Erinnerungsort. Seit 2006 ist er an der Wand in St. Michael zu sehen. Ein Vorgängerkreuzweg aus Holz wurde abgenommen.

Orgel mit vormaligen Kreuzweg, Aufn. vor 2000, Q: Bildarchiv EBO

Würdigung

St. Michael in Berlin-Kreuzberg ist ein sachlich-schlichter Raum. Dessen Qualität gerade durch die architektonische Unaufdringlichkeit erkennbar wird. Fein abgestimmt zieht mich dieser Ort regelmäßig in seinen Bann. Konnte man einst durch die Fenster im Obergarden den Himmel über Berlin sehen, sieht man nun die Balkone der neuentstandenen Wohnquartiere. Obwohl die Gemeinde von einst über 6000 Mitgliedern aufgrund er starken Umschichtungen in Kreuzberg stark reduziert wurde, ist sie bis heute sozial engagiert und mittlerweile stellt die Kirche mit Ihren Angeboten für junge und alte ein kleines Zentrum in einem noch urbaner gewordenen Stadtteil dar. Ich hoffe sehr, dass St. Michael Kreuzberg viele Jahre ein Ort für viele sein wird.

Blick vom Altar, Aufn. vor 2000, Q: Bildarchiv EBO

Weiterführende Links

Seite der Jugendkirche: https://www.jugendkirche-berlin.de/

Seite der Kirchengemeinde: http://marien-liebfrauen.de/kirchen/sankt-michael.html

Führung durch St. Michael
Seite der Hans Schaefers Stiftung mit Kurzbiografie
Die Kreuzberger Thomaskirche
Eindrücke von den beiden Michaelkirchen

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