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St. Michael – Berlin Mitte. Geschichte eines Sakralbaukörpers*

Kirchen als Ruinen kennen wir seit Jahrhunderten. Hierbei sei nur an die wüsten Kirchen erinnert, die nach Kriegshandlungen nicht wieder auf gebaut wurden. Ebenso finden wir ungenutzte Sakralbauten nach der Reformation bzw. in Folge des Reichsdeputationshauptschluss 1803, so z.b. das ehemalige Kloster Chorin. Dort werden kirchliche Güter säkularisiert. Ebenso kamen in den beiden Weltkriegen Kirchen zu schaden. Eine besondere (teil)zerstörte Kirche ist übrigens St. Michael in Berlin-Mitte. Ein Ort der Gemeindehaus, Gemeindegarten, Kirche und trotzdem eine Ruine ist. Im folgenden wird schlaglichthaft über die Geschichte dieses Baukörpers berichtet.

(*Dies ist die überarbeitete Fassung meines Artikels: Baukörper St. Michael, Geschichte eines Sakralbaus, in der Zeitschrift: Kirchenpädagogik: Kirche und Körper, 2022, S. 15-17)

Ansicht vom Chor, Zeichnung aus Berlin und seine Bauten,1896,
Gemeinfrei, Q: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=972771 (Zugriff: 30.09.24)

Geschichte von St. Michael Mitte und des Architekten Soller

Die St.-Michael-Kirche am Engelbecken in Berlins Mitte ist ein Ort der katholischen Identität in der preußischen Hauptstadt von Anfang an. Als zweite, nachreformatorische, katholische Kirche nach St. Hedwig, kam diesem Projekt überdies große Bedeutung zu. Geplant durch eine hohen Staatsbeamten, den Leiter der Abteilung für kirchliche Bauten in der Oberbaudeputation Wilhelms IV, August Soller (1805-1853). Nach dessen Tod vollendeten Kollegen den Bau. Soller stammte aus Erfurt und war katholisch. Eine Konfession, die bis 1918 im preußischen Staatsdienst selten vertreten war. Immerhin verstand sich deren oberster Herr, der König, stets als der erste Bischof – nicht nur für seine Hausreligion, den seit 1817 unionierten Protestantismus- sondern ebenso für die katholische Minderheit.

Marke der kath. Militärgemeinde

Zu Beginn als Kirche für des Königs Soldaten gedacht, wurde sie schon bald Ort einer Zivilgemeinde. Mehr als es sich heute erahnen lässt war sie Pulsgeber des römisch-katholischen Engagements in der zu schnell wachsenden Metropole. Übrigens soll die Idee des Patronats auf den König zurückgehen. Er hatte die Straße an der Kirchenbaustelle Michaelsstraße benannt. Also sicherlich ist dies nicht von ungefähr, dass der Erzengel darüber hinaus auch der Patron der Soldaten und der Deutschen ist.

Sollers erster Entwurf für St. Michael Mitte

Der erste „Entwurf einer zweiten katholischen Kirche in Berlin“ von Soller
Q: F.M. Kammel: Sankt Michael zu Berlin […],
in: Forschung und Berichte: JB SMB, 31 (1991), S. 248 (Abb. 3)
Online unter: http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/2891/1/Kammel_St_Michael_zu_Berlin_1991.pdf (Zugriff: 30.09.24)

Zudem war der erste Entwurf Sollers wesentlich italienischer und komplexer. Es war eine eine Vorhalle mit Kolonnaden gedacht, welche zwei vorgelagerte Dienstgebäude verbinden sollten. Darüber hinaus wäre der hohe Portalbereich von zwei schmalen Türmen flankiert worden. Eine Mischung aus romanischer und klassizistischer Baugestalt. Übrigens ging dieser erste Entwurf auf eine frühere ähnliche Zeichnung zurück, welche Soller im Rahmen der Monatskonkurrenz der Berliner Architekten schafft, um 1837, eingereicht hatte. Schon dieses Blatt ähnelt sehr den späteren Mustervorlagen der Schinkelschüler: Entwürfe zu Kirchen, Pfarr- und Schulhäusern, hrsg. von der Kgl. Preuß. Oberbaudeputation, 1845-1855.

Soller August (1805-1853), Katholische St. Michaelskirche, Berlin. (Aus: Entwürfe zu Kirchen, Pfarr- und Schulhäusern, hrsg. von der Kgl. Preuß. Oberbaudeputation, 1845-1855): Grundriss, Ansicht, Detail. Lithographie farbig auf Papier, 43,1 x 57 cm (inkl. Scanrand). Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin Inv. Nr. B 1287,70.
Online unter: https://doi.org/10.25645/jmyw-xhhq (Zugriff: 30.09.24)

Der Bau von St. Michael Mitte

Dort wo die Residenzstadt noch Platz zu bieten hatte, auf dem Köpenicker Feld, ehemals vor allem als Ackerland genutzt, entstand eine neue Stadt, die Luisenstadt. Der Kirchenbau lag prominent in der Sichtachse vom Friedrichshain bis zum Tempelhofer Feld in Kreuzberg. Jedoch eine repräsentative Turmanlage erhielt der Bau nicht. Dies blieb der benachbarten evangelischen Thomaskirche vorbehalten. Sie war zur Erbauungszeit eine der größten Kirchengemeinden der Welt, mit 150.000 Seelen.

Die Kirche mitten auf dem Platz und am Engelbecken, historische Postkarte, Slg. Manthey

Jedoch auch St. Michael erfuhr Zulauf, gut 20.000 Menschen zählte man zu dieser Gemeinde. Welche Großteils aus den armen Schichten, des von Österreich eroberten, Schlesiens in die Stadt gekommenen katholischen Frauen und Männern bestand. Sie suchten hier ihr Glück in der niemals schlafenden Stadt. Unweit vom Kirchbauplatz befand sich auch der Schlesische Bahnhof. Ganz glatt lief jedoch auch die Erbauung nicht. Bereits vor der Weihe, 1861, lag die Baustelle lange brach. Zeitzeugen beschreiben sie Ruinen gleich. In den Umfassungsmauern weideten Schafe. Dieser unfertige Bau, um dessen erfolgreiches Ende gerungen wurde, ist die erste bekannte Zäsur des Baukörpers. Schon damals lies es die vorüber gehenden Menschen nicht unberührt.

Querschnitt durch die Kirche, Zeichnung aus Berlin und seine Bauten, 1896,
Gemeinfrei, Q: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=964872 (Zugriff: 30.09.24)

St. Michael Mitte: Der historische Innenraum

Sieht man sich die von Soller angefertigte Perspektivansicht des Innenraums an, erinnert die Raumgestalt an die Skizze der Florentiner Kirche San Miniato, welche Soller während seiner Italienreise zeichnete. Zwar ist San Miniato al Monte im 11. Jahrhundert begonnen worden und im Detail sehr unterschiedlich, allein schon da sie im Inkrustationstil eine völlig andere Ausgestaltung erhielt. Dennoch sind die Raumaufteilung, die Bögen, die Anlage als teilweise tonnengewölbte romanische Pseudobasilika, d.h. unter einem Dach unterschiedliche Schiffhöhen, und darüber hinaus die Anlage des Chores nahe an toskanischen Vorbildern. Also zeugt dieser Kirchenraum von der Vorliebe für frühchristliche Kirchen in Italien. Welche König Friedrich Wilhelm IV mit seinen Baumeistern teilte. Besonders für diesen bis 1861 regierenden Monarchen war die Rückbesinnung auf die frühchristliche Baukunst sowie die Urkirche und ihre Liturgie ein Lösungsansatz für (kirchen)politische Probleme.

Johann August Karl Soller: Perspektivische Innenansicht (aus: Entwürfe zu Kirchen, Pfarr- und Schulhäusern, hrsg. von der Kgl. Preuß. Oberbaudeputation, 1845-1855),
Q: Architekturmuseum der TU Berlin, unter: https://doi.org/10.25645/gk60-nfw (Zugriff: 3.10.24)
Innenraum, historische Postkarte, Slg. Manthey

Das Innere der Kirche war ein ein weiter großer Raum. Ein Wechsel von Bogennischen in den Seitenschiffen und Kuppeln in als Decke des Hauptschiffs. Dort fanden über 1000 Menschen sitzend Platz. Sogar die an einem vorderen Pfeiler stehende Kanzel rezipierte italienische Vorbilder. Zudem war für den deutschen Kirchenbau die Altaranlage, hinter der Vierung unter dem Scheidbogen zur Apsis, ungewöhnlich. Hier fühlt man sich ebenso Ikonostasen artige frühchristliche Bautradition erinnert.

Der historische Hauptaltar mit Michaelsbild, heute befindet dich dort die Sakristei der Kirche im Querschiff, historische Postkarte, Slg. Manthey

Gemeinde und Soziales Engagement unter Pfarrer Kaller

St. Michael Mitte wurde geistige Heimat für viele. Einige blieben, andere zogen weiter. Die Michaeliten fühlten sich stets verbunden mit ihrem Kiez, der Stadt und dem Glauben sowie dessen sozialer Strahlkraft. Besonders Maximilian Kaller (1880-1947) hat die Gläubigen geprägt. Aufgrund der großen sozialen Ungerechtigkeit ersann er als Pfarrer, in seiner Zeit von 1917 bis 26, eine vielversprechende Caritasstruktur – das Laienapostolat. Seinen Pfarrbezirk unterteilte Kaller in viele kleine Teile, Planquadrate einer Karte, mit Haupt- und Unterbezirken. Dort verrichteten Ehrenamtliche Besuchsdienste bei den Gemeindegliedern. Schließlich kamen somit Berichte über die Nöte der Leute zu einem Pfarrcaritasrat. Nun wussten der Pfarrer und seine Mitarbeiter von den Problemen.

Büste von Maximillian Kaller in der heutigen Kirche

Man organisierte Hilfe. Es gab, beispielsweise, Suppenküchen, Kleiderkammern und die wohlhabenden Gemeindemitglieder zahlten in einen Sozialfond. So wurde zumindest etwas Linderung erreicht. Vor Ort war man von diesem Konzept überzeugt und der Pfarrer trug bei verschiedenen Gelegenheiten Kirchenleitungen und Mitbrüdern dazu vor. Diese Menschen kamen in vielen sonntäglichen Messen zur Kirche. Sie waren Dienstboten, Mägde, Waschfrauen oder Tagelöhner, geschundene, menschliche Körper in einem klassizistischen Kirchenbau – einem von Menschen gebauter Körper für Menschen, sozusagen. Nicht übermäßig prunkvoll, aber würdig vereinte der Sakralraum die Seelen in ihren Sorgen und im Glauben.

Zwei Systeme: Die geteilte Pfarrei

St. Michael Mitte

Die zerstörte Kirche, Q: Gemeinde St. Michael

Es kamen von Deutschland Kriege über die Welt. Der zweite davon zerstörte schließlich auch diese Kirche. Bomben schufen in Berlins Mitte eine Ruinenlandschaft. St. Michael wurde öd und leer. Die übriggebliebenen Gemeindemitglieder machten sich an die Arbeit und begannen im ehemaligen Querhaus einen Sakralraum zu schaffen. Es entstand ein neu ausgerichteter Raum im sichtbar gebliebenen aber stark verwundeten Baukörper.

1953 eingeweihte neue Kirche im Querschiff, Q: Gemeinde St. Michael
Der Innenraum heute, Foto: K. Manthey

Nun sogar mit dem Altar unter der ehemaligen Ostquerhauswand. Das einstige Langschiff musste man brach liegen lassen. Es wuchs wieder Gras, schwere Zeiten auf dem Köpenicker Feld. Die Pfarrpastoral ging weiter. Doch nun war Berlin zerschnitten und direkt vor dem Hauptportal der Kirche begann nun Westberlin mit seinem Bezirk Kreuzberg. Dem dort lebenden kleineren Gemeindeteil wurde es immer schwerer gemacht die Pfarrkirche sonntäglich zu besuchen. Schikanen beim Grenzübertritt gehörten zur Tagesordnung. Schließlich wurden mit der Berliner Mauer 1961 Fakten geschaffen. 100 Jahre alt war die zweite Mutterkirche in Berlin nun und zum Teil Ihrer Kinder beraubt.

St. Michael Kreuzberg

Als man sich später durchrang einen Gottesdienstort in Kreuzberg zu schaffen, sollte dieser freien Blick zur Ruine der Urkirche haben. Darüber hinaus sollte der Kirchenbau später als ein Pfarrsaal genutzt werden können, wenn die Gemeinde wieder vereint sei. Doch während die Katholiken im Osten Berlins immer mehr zusammenrückten in einer Diktatur, verließen nach und nach viele Westberliner Katholiken den Grenzbezirk Kreuzberg.

Der Blick zur Mutterkirche von einem Fenster des Gemeindezentrums in Kreuzberg, um 1979, Q: Streicher/ Drave: Berlin Stadt und Kirche, 1980

Dort wurde es bunter und es gab immer weniger Christen. Als es nach der politischen Wende, 1990, darum ging beide Pfarreienteile wieder zu vereinen, blieben die Gemeinden lieber in Ihrer bekannten Milieus. Mit der Bildung der Großpfarrei Bernhard Lichtenberg im Jahr 2021 sind Kreuzberg und Mitte nun, katholisch gesehen wieder vereint und beide Mutter und Tochter gehören, mit anderen Gemeinden, zusammen.

St. Michael Mitte bis heute

Baulich wurde in den 1980er Jahren ein Pfarrhaus in die Ruine gesetzt. Ein vollkommen neuer, pragmatisch gedachter Teilkörper fügte sich zwischen Mauerresten ein. Es entstand ein Pfarrgarten. Dafür musste bereits in den 1970er Jahren das alte Pfarrhaus dem Neubau von DDR-Plattenbauten rund um den Heinrich-Heine-Platz weichen.

Das Pfarrhaus vom Garten her, Foto: K. Manthey

Nach dem Fall der Mauer wuchs die Stadtmitte langsam wieder zusammen. Einst Randgebiet am Grenzstreifen hin zur neuen Mitte einer wiedererwachenden Weltstadt. Letzte Lücken sind mittlerweile teuer bebaut. Der Bethaniendamm und das Engelbecken, einst Sperrgebiet mit Schießbefehl, sind heute beliebte Adressen.

Die Michaelsfigur von August Kiss, Foto: K. Manthey

Über allem wacht nachwievor St. Michael, mit der Figur des Patrons auf dem Giebel des Portals, einer Arbeit von August Kiss (1802-65). Diese Bronze wurde mehrfach gegossen, da sie dem preußischen König Wilhelm IV so gefiel. Der Kirchplatz ist heutzutage wieder belebt. Berliner, Gäste und ihre Tiere queren die Wege und umrunden die Kirche. Der Spielplatz einer Kita lehnt sich von außen an die Westseite des Langhauses. Die Ruine ist baulich gesichert und nicht öffentlich zugänglich. Immer wieder kommen Ideen auf, den verwundeten Baukörper mit großem oder kleinem Aufwand wieder herzustellen, beispielsweise durch Rekonstruktion oder eine einfache Überdachung. Mittlerweile haben kirchliche Stellen den Ort als „Location“ für besondere Anlässe entdeckt.

Veranstaltung KOCH.KUNST.KULTUR im August 2019, Foto: K. Manthey

Menschen die auf dem Platz sind, kommen sogleich dazu und versuchen einen Blick zu erhaschen, wenn die Tür im Portal einmal offen steht. So interessant bleibt das verborgene. Gleichwohl, die Menschen vor Ort, die mit der Kirche weiterlebten, die echten Michaeliten, meinen man solle keine Luftschlösser bauen, es so lassen wie es ist. Den verletzten Baukörper zeigen. Gäste einladen, so wie es der Ort verkraftet, einfach schlicht und ohne andauernden Trubel.

Würdigung

Steht man heute in dem Garten, der einmal Laienraum einer der größten katholischen Kirchen Berlins war, fühlt man sich geborgen durch die Wände und zugleich frei durch das Himmelszelt, welches sich oberhalb der letzten Gewölbe- und Mauerreste öffnet.

Rudiment der alten Kirche, Foto: K. Manthey

Mein Körper möchte sich anlehnen an eine Wand oder hinsetzen und über die Bruchkanten der Gesimse nach oben schauen. Draußen bellen die Hunde, fließt der Verkehr, tönt die Stadt, doch hier in dieser verschlossenen Ruine, ist mein hortus conclusus, mein geschlossener Garten.

Damit diese Wirkung erhalten bleibt, sollte auch mit diesem Bau behutsam verfahren werden. Es ist einer der Orte Berlins, der für mich die Stadt und Gott zusammenbringt. Versteckt erinnert ein geheilter Körper mit unübersehbaren Narben die Geschichte der Stadt – St. Michael, Berlin-Mitte im Jahr 2022.

aufgesammeltes Baudekor in der heutigen Kirche, Foto: K. Manthey

Weiterführende Links

Informationen des Landesdenkmalamtes Berlin:
https://www.berlin.de/landesdenkmalamt/denkmalpflege/erkennen-und-erhalten/sakralbauten/st-michael-kirche-639625.php

Videoführung aus der Reihe Berliner Sakralarchitektur:

Seiten des Fördervereins mit weiteren Infos:
http://www.foerderverein-stmichael-kirche.de/

Denkmaltag 2022

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