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St. Martin, Märkisches Viertel

Märkisches Viertel, St. Martin die katholische Kirche dort, ist in diesem Herbst 50 Jahre alt geworden. Diese Kirche zählt zu den Höhepunkten der Nachkriegsmoderne in West-Berlin. Außerdem zählt dieser Sakralbau zu einem von zwei realisierten Kirchen des Berliner Senatsbaudirektors Werner Düttmann (1921-1983). Er war ab 1960 in diesem Amt, plante er für Berlin später ebenso etliche Großprojekte. So war der gebürtige Berliner ebenfalls an der Planung des größten Großwohnsiedlungsprojekt im freien Berlin beteiligt, dem Märkischen Viertel (MV) in Berlin-Wittenau. Ausgelegt für 50.000 Einwohner gab es dort im Nordwesten Berlins einiges zu tun.

Das MV: Blick entlang des Wilhelmsruher Damms, 1972
Fotograf*in: Willy Pragher | Digitalisierung: Landesarchiv Baden-Württemberg

Somit entwickelte der Architekt für das Bistum Berlin und die katholische Gemeinde ein Gebäudeensemble aus Sozialbauten und Kirche. Während die evangelische Kirche sich für drei Gemeindezentren, die das gut 3,2 km² große Viertel umgaben, entschieden, hatte die Katholische Gemeinde, mit gut 4000 Seelen, auf einen Komplex gesetzt. Dieser entstand dafür am Zentrum des Stadtteils am Marktplatz. Zwar ist Düttmanns erste Katholische Kirche in Berlin, St. Agnes in Kreuzberg, in der sich heute die König Galerie befindet, bekannter, doch die Pfarrkirche im Märkischen Viertel steht hinsichtlich der baulichen Qualität der älteren Schwester in nichts nach.

Isometrische Ansicht des Komplexes, aus: Streicher/Drave, Berlin Stadt und Kirche, 1979 (BSK)

Es ist ein Kubischer Stahlbetonbaukomplex der neben der Kirche, das Gemeindezentrum, einen Kindergarten und eine Grundschule sowie ein Seniorenwohnheim beherbergt. Der schalungsrauhe Portalturm an der Ecke mit eingeschnittenem Kreuz beherrscht die Umgebung zum Markt hin und ist zudem eindeutiges Kennzeichen.

Grundriss der Kirche mit Teilen des Gemeindehauses, aus: BSK

Gemeindegeschichte

Bereits 1963 begann der Bau des Märkischen Viertels mit seinen rund 17.000 Wohneinheiten. 1968 bildet sich die katholische Gemeinde. Als erster Seelsorger kam Pfarrer Bernhard Obst (1928-2001). Bis zur Fertigstellung der Kirche feierten die Katholiken vor Ort in einem angemieteten Laden (später Bäckerei Ostrowski). Dieser erhielt schnell den Spitznamen „Obstladen“. Anschließend wurde 1972/73 für gut ein Jahr im Foyer des Gemeindezentrums gefeiert. In der Folge des zweiten vatikanischen Konzils war die Gemeinde ebenso liberal gesinnt. Schon anfänglich entschied man sich für das Patrozinium des Heiligen Bischof von Tour, Martin. Zudem entwickelte sich ein anspruchsvolles auf Seelsorge, Bildung und Caritas ausgelegtes Raumkonzept. Somit konnte das kirchliche Zentrum in seinem Umfeld Angebote vom Kleinkind bis zum Senior machen.

Werner Düttmann: Ansicht auf die Baugruppe von der Fußgängerstraße her, Bl. 121. Bezeichnet sind die Blätter mit „MVs Kath. Zentrum St. Martin“. Q: Bauakte St. Martin, ZR-EBO

Kirchenraum

Betritt man die Kirche durch den Portalturm dann gelangt man durch den Vorraum in die Kirche. Hält man sich rechts kommt man zur Werktags- und Marienkapelle. Linkerhand erreicht man durch einen hinabführenden Gang seitlich den Hauptraum.

Eingangssituation, Foto: K. Manthey 2022

Ausgehend von einem gestauchten Kreuzgrundriss umsteht dort die sonntägliche Feiergemeinde den Hauptaltar. Schalungsrauher Beton prägt die Wände. Der Boden ist aus roten Ziegelfliesen, die Bankreihen aus hellem Holz sowie Decken mit Holzlamellen verkleidet. Es ist eine warme Atmosphäre, die aufgrund der Oberlichter die Licht-Streifen entlang der Betonwände bilden, noch verstärkt wird. Hier ist der Beton nicht kühl. Der Kirchenraum hat bis heute Ausstrahlung. Hinzu kommt das eckig, aber konzentrisch gestaltet Oberlicht in der Decke über der einstufigen Altarinsel.

Bauzeitliche Innenansicht, der Tabernakel befindet sich noch auf dem Altar, es fehlt das Gemälde von Grützke usw. Q: https://perpetualpusher.tumblr.com/image/7008024083 (18.11.23)

Ausstattung im Altarraum von St. Martin Märkisches Viertel

Der Altarraum 2017, Foto: Constantin Beyer, Q: Bildarchiv EBO

Dort im Chorbereich befinden sich Altartisch, Ambo und Sedilien aus Holz. Sie werden von drei Seiten durch Bankreihen umstanden. Die vierte Seite ist die Altarwand. Dort hängt ein schlichtes, großes Holzkreuz ohne Korpus. Links vom Altar befindet sich die Orgel von der Freiburger Firma Späth mit 13 Registern aus dem Weihejahr. Dahinter befinden sich an der Wand und ebenso gegenüber der Zugänge zu Nebenräumen und zur Sakristei.

Altarweihe durch Alfred Cardinal Bengsch, 7. Oktober 1973, Q: Bildarchiv EBO

Tabernakel

Rechts hinter dem Opfertisch steht der Tabernakel. Er kam 2004 dorthin. Aus Stahl Bronze und Silber gefertigt und auf Holzpfeilern stehend ist er über 1,90 m hoch. Der Entwurf stammt von dem Bildhauer Wilfried Statt (geb. 1958), damals Stahnsdorf, der seit 2005 als Künstlermönch in Heiligenkreuz im Wiener Wald lebt und arbeitet. Die Reliefs am Tabernakel zeigen die Fußwaschung, das Abendmahl als Einsetzung der Eucharistie, die Auferstehung Christi. Die Gießerei Krepp aus Berlin-Weissensee führte den Schrein 2004 aus. Ursprünglich gab es einen flachen Tabernakel auf dem Altar. Da die Umsetzung der Konzilsbeschlüsse erst nach dem Erscheinen des neuen Missale Romanum 1969 in den Nationalkirchen begann. Somit war der Tabernakel auf dem Hauptaltar auch Anfang der 1970er Jahre noch Pflicht. Später stand dieser Schrein auf dem Nebenaltar in der Kapelle und nun in der Sakristei. Der Wunsch, dass der Tabernakel wieder im Hauptraum sichtbar ist, sorgte für das letzte Hauptstück, welches die Kubatur der Kirche annimmt.

Weitere Ausstattung in St. Martin Märkisches Viertel

Als einziges Gemälde kam 1980 „St. Martin teilt den Mantel“ (Öl auf Leinwand, 268 x 227) von Johannes Grützke (1937-2017) in die Kirche. Das Werk entstand im Auftrag von Pfr. Obst. Wenige Jahre später erhielt die Kirche einen Kreuzweg. Die Reliefs aus umgefasstem Zirbelholz (90 x 90 cm) stammen Prof. Jacob Adlhart (1898-1985) aus Hallein bei Salzburg. Diese expressionstisch-volkstümliche Arbeit müssen zum Spätwerk gezählt werden. Außerdem gibt es ein Kreuz von ihm in St. Adalbert aus der Zeit um 1935, mit einer ganz besonderen Geschichte. Die Kreuzwegstationen in St. Martin sind eine Stiftung von Albert und Gertrud Sperling aus dem Jahr 1983.

Ebenfalls zu erwähnen ist der bronzene Taufbrunnen von Hubert Elsässer (1934-2009) aus Gröbenzell von 1985. Das runde Becken steht auf 4 Säulchen mit Reliefbilder der 4 Evangelisten. Die Beckenflächen zieren Reliefs aus stilisiertem Wasser. Jene Szenen zeigen übrigens: Den Geist Gottes, der über den Wassern schwebt, die Sintflut und die Arche, den Durchzug durch das Rote Meer sowie die Taufe Christi im Jordan. Neben der Taufe steht momentan der Osterleuchter aus Bronze auf einem dreibeinigen Sockel mit Ähren, Taube, Weinstock, aus der Erbauungszeit.

Seiten- bzw. Marienkapelle

Als flachen bergenden Raum hatte Düttmann die Kapelle gedacht. Unter der Empore befindet sich der Andachtsort. Zum Altar hin ausgerichtet ist dort die klassische Anordnung zu finden. Zunächst befand sich dort eine Maria mit Kind aus der Zeit um 1400. Diese hatte der Architekt Werner Düttmann der Gemeinde geschenkt. 1998 wurde diese zwar laut Inventar „verbrannt“ und durch einen neuzeitliche Maria-Sedes-Sapientiae-Figur ersetzt.

Jedoch befindet sich nun wieder das restaurierte Original dort. An der Langwand der Kapelle sind Lithografien von Oskar Kokoschka, vermutlich aus der Mappe Passion von 1916 aufgestellt. Wieso es einen zweiten Kreuzweg in der Kirche gibt, der darüber hinaus (und neben Grünpflanzen) die schlichte Kapelle m. M. n. überlädt, ist mir nicht bekannt.

Würdigung

Allein die Geschichte der Gemeindebildung ist ein Unikum in der jüngeren Kirchengeschichte. Im Märkischen Viertel wurde von der Basis her eine Gemeinde gegründet, vom „Obstladen“ hin zum umfassenden Gemeindezentrum mit Angeboten für alle Altersgruppen im Zentrum der Siedlung und mit einer Kirche um deren Zentrum, den Altar die Gemeinde sich bis heute versammelt. Zwar war bzw. ist der Markt eine große Baustelle, doch bis heute hat der Ort und seine Angebote großes Potential über die Katholiken hinaus. Übrigens zusammen mit den drei evangelischen Gemeindezentren, die das Märkische Viertel umstehen gibt es dafür gute Voraussetzungen. Baulich ist darüber hinaus beeindruckend, wie stark sich diese zweite Düttmann-Kirche von seiner ersten St. Agnes in Kreuzberg unterscheidet. Dort entstand kurz zuvor zwischen 1964 und 1967 eine ebenfalls sehr qualitätvoller Sakralbau. Dieser folgte jedoch altem Gottesdienst Verständnis. In einem Monumentalen, hohen Saalbau wurde zum Altar hin gefeiert. Die Gemeindebauten ordneten sich dem prägenden Unikalbau deutlich unter. In St. Martin, Märkisches Viertel, fügt sich die Kirche stärker ins Gefüge der caritativen Bauten und die Umgebung. Zudem erhält der Kirchenraum eine neue Ausrichtung auf Gemeinde hin. Ein eindeutiges Zeichen für die Könnerschaft des Architekten.

Links zu St. Martin Märkisches Viertel

Artikel von Christiane Reinicke zum MV:
https://zeithistorische-forschungen.de/2-2014/5095

Weitere Innenaufnahmen der Kirche auf: https://allekirchenberlins.wordpress.com/2018/11/11/216-st-martin-kirche-maerkisches-viertel/

Kerstin Wittmann-Englert über St. Martin:
https://wernerduettmann.de/karte/st-martin

Eintrag zur Orgel:
https://organindex.de/index.php?title=Berlin/Märkisches_Viertel,_St._Martin

Kurzbiografie des ersten Pfarrers Bernhard Obst:
https://www.dioezesanarchiv-berlin.de/bestaende/abteilung-v/bestand-v188/

Eintrag zur Vorgängerkirche in Kreuzberg mit Fotos der 1. Kirche Düttmanns (am Ende)
Weitere Nachkriegsmoderne von Hans Schädel und Hermann Jünemann
St. Martin von außen 1996, Q: Bildarchiv EBO

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