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- Author: Konstantin Manthey
- Posted: 10. November 2024
- Category: Kirchenporträts
St. Canisius, Charlottenburg, die 2. Kirche von 2002
Am letzten Sonntag war es wieder soweit. Die Kirchenführerprüfungen standen an. Seit 8 Jahren bilden meine Kollegin und ich Interessierte zu Kirchenführenden aus. Der Auftakt war in St. Canisius. Dort konnte ich diese jüngste katholische Kirche wieder neu erleben und schätzen lernen. 1921 wurde von Herz Jesu Charlottenburg aus eine neue Gemeinde gegründet. Diese erhielt 1924 eine Kapelle im Untergeschoß des Jesuiten-Kollegs, damals noch am Lietzensee. Damit war ein erster Kirchenraum in der Region vorhanden. Erst nach dem 2. Weltkrieg wurde bis 1955 die Kirche von Reinhard Hofbauer errichtet, über die bereits berichtet wurde. Und die 1995 komplett durch einen Brand zerstört wurde.
Wettbewerb und Realisation von St. Canisius
Danach wurde 1996 eine Wettbewerb ausgelobt und entschieden. Vorgaben im Wettbewerb waren nun die Reduzierung der Raumfläche sowie die Trennung von Kirchenbau und Glockenturm. Hatte doch dies neben anderen Dingen bereits 6 Jahre nach Bau der ersten Kirche zur Schließung wegen Bauschäden geführt. So dass die Kirche neuaufgebaut werden musste. Doch weder der von einer Jury, 1996, bestimmte Sieger das damalige Architektur-Büro Schmidt-Thomsen & Ziegert noch der Zweitplatzierte Edgar Wisnewski (1930-2007), der bekannte Partner Hans Scharouns, wurden umgesetzt.
Wisnewski hatte einen Versuch zu einer ökologischen Kirche eingereicht, der auch aus Angst vor den Kosten dann nicht in Frage kam. Zwar wurde mit ihm nachverhandelt, doch der Stararchitekt war wohl nicht zu den geforderten Kompromissen bereit. Dass der 1. Preis die Gemeindegremien nicht überzeugte verwundert. Anscheinend war der Unterschied zwischen Erwartungen der Jury und der Gemeinde zu groß. Dabei war die Vorlage von Schmidt-Thomsen & Ziegert in seiner Struktur ein Bekenntnis zum gerichteten Raum und sicherlich ein Bezug zum Vorgängerbau.
Die Leitidee der erstplatziertenn war, laut Metzler (R. Metzler, Beitrag St. Canisius, in: Ausstellung Ungebaut! 2023):
„Übersetzung des Gemeinschaftsgedankens in ein Konzept der Geschlossenheit nach innen und Offenheit nach außen. […] Zwölf in Volumen und Position unterschiedliche
Baukörper fassen den leicht geneigten Zentralraum, lesbar als „12 Apostel, Träger und Schutz der Kirche“.“
Neben juristischen Problemen warf das Beispiel Wettbewerb St. Canisius ebenfalls deutlich die Frage nach der Bauaufgabe Kirche im 21. Jahrhundert auf. Eine Bestimmung, die weder der Bauherr Kirche noch Architekten bisher ausreichend definieren konnten. Wie offen oder geschlossen muss oder darf ein sakraler Raum sein, erscheint mir gerade heute der maßgebliche Gedanke.
Endlich kam es nach Schlichtung und Moderation 1997 zur Auflösung des Wettbewerbs. 2000 dann zum Bau des vollkommen überarbeiteten Entwurfs der Architekten BNB, Büttner Neumann Braun, den Drittplatzierten im o.g. Entscheid. Das Büro bestand von 1988 bis 2001, Heike Büttner ist mittlerweile Professorin in Weimar, Claus Neumann und George Braun arbeiten weiterhin als Architekten in Berlin.
Ihr erneuter Plan wurde nun genehmigt und umgesetzt. Dabei ging es hier ebenfalls um Offenheit nach außen und Gemeinschaft nach innen. Es gibt eine Innenkirche die im Freien gegenüber einen Reflex findet. Dabei ist der Außenbereich ohne Zweckbindung (näheres s. u. Kommentar vom 20.7.20), jedoch aus dem gleichen Material, Straßenpflaster, dass auch als Kirchenboden verwendet wird.
Der Innenraum
Neben den gleichen Bodenbelägen im Kirchen- und Außenkirchenbereich. Verbindet übrigens die Skulpturalität von Altar, Stelen und Ambo. Alle sind also aus dem gleichen Material, orangen Kalkstein. Der Altar außen und ebenso der im Inneren stammen von einem Stein, wie dies die Bruchstellen an der Seite sichtbar mache. Diese Steinmetzarbeiten stammen von Guy Charlier. Somit entstehen hier wieder zwei Gegenpole, die sich ähneln und vielfältig ausdeutbar sind. Ebenso hält die Stadt Einzug in den Gesamtbau und bleibt dennoch ausreichend deutlich draußen. So dass die Gemeinde feiern kann. Zudem kommt mit der Anlage der Außenkirche die Himmlische Stadt Jerusalem und somit die Ausdeutung der göttlichen Sphäre in die Anlage. Ein wichtiges Zeichen sind die zehn Schlitzpaare in der Südwand. Sie stehen für die Engel, die in der Apokalypse des Johannes, also im himmlischen Jerusalem vorkommen.
Das Bindeglied – die Marienkapelle
Zwischen den Sichtbetonbauteilen gibt es eine sichtbare Verbindung. Ein Baukörper aus Holz. Dort altert das Baumaterial anders. So als wären verschiedene Zeitlichkeiten verbaut. Der relativ gleichbleibende oft als kalt gedeutete Beton erhält im warmen Lärchenholz einen Contra punkt. Aus Holz ist das Festportal für hohe Feiertage, sowie der Eingangsbereich, eine Art Schleuse. Zudem ist die Ort für das zurückgezogene Gebet, die Marienkapelle aus diesem Holz. Von außen ein Halbrund von Innen mit einem Grundriss wie ein Schlüssel ausgearbeitet. Umarmt der warm riechende Raum eine Marienfigur aus der ersten Kapelle, die besonders jung wirkt und aus 1943 stammt.
Der Innenraum II
Wieder in der Innenkirche angekommen gibt es neben den Kalksteinarbeiten noch andere Ausstattung. So die Metallarbeiten, wie bspw. die Kerzenständer, den Ambo oder die Taufschale von Jo Achermann. Zudem gibt es hinter dem Tabernakel ein Gemälde des 16. Jahrhunderts, der Zeit in der der Jesuiten-Orden entstand. Dieses Bild zeigt die Auferstehung Christi und stammt aus Italien.
Materialität an St. Canisius
Die Materialität von sichtbarem Beton ist seit langem ein Faszinosum. Die ersten Arbeiten mit dem Eisenbeton nach dem 2. Weltkrieg erzeugten bereits eine besondere Wirkung, wie es z.B. Carl Anton Meckel in Freiburg bei der Kirche St. Konrad und Elisabeth von 1930. Das was Architekten seither reizt ist die vermeintliche Formbarkeit von Baukörpern durch die Vielseitigkeit des Betons bis hin zu seiner Sichtbarkeit dem „béton brut“, also dem Sichtbeton. Zudem überwindet man nahezu unsichtbar die statischen Grenzen. Im Jahr 2000-2002 war das schließlich wesentlich filigraner möglich. So konnten beispielsweise neben der Engelwand auch ein Bogeneinschnitt in das Dach der Außenkirche gemacht werden.
Dieser Bogen schließt den Kreis im Innenkirchenraum. Gemeinsam mit den Engeln erzeugt der Lichtviertelkreis Effekte. Zwar ist Beton sehr formbar, dennoch bleiben für normal Spuren der Bauzeit, wie Schalungsanker. Diese wurden zu Kreuzen weiterentwickelt. Die Oberfläche wurde von Joan Waltemath, einer New Yorker Künstlerin, mit Edelstahlelementen unterschiedlich gefühlt. Somit entstand ein feingliedriges Wandbild rund um die Kirche. Wände voller unterschiedlicher Kreuze, obwohl es auf dem Turm kein große Kreuz gibt. Vielleicht ebenfalls eine Analogie zu Kirche und Stadt.
Zusammenfassung
Wände voller unterschiedlicher Kreuze, obwohl es auf dem Turm kein große Kreuz gibt sind vielleicht ebenfalls eine Analogie zu Kirche und Stadt. So wie es die offene Außenkirche oder die Beziehungen zur Himmelsstadt sind: Geheimnisvoll und eine Mischung zwischen offen und geschlossen. Die Kirche St. Canisius ist nun vielschichtig deutbar. Jedoch liegt diese Deutung bei jedem Menschen, der sich auf den Bau einlässt. Sicherlich gibt es viele.
Gleichwie, die heutige St.-Canisius-Kirche wurde mehrfach preisgekrönt und das zu recht. Entstanden ist eine klare Position von Kirchenraum heute. 2021 feierte die Gemeinde 100jähriges Bestehen. Nun gehört St. Canisius zur Pfarrei Christi Auferstehung, Grunewald, Schmargendorf, Westend und Lietzensee. Das ist übrigens eine Pfarrei in der vor allem Orden die Geistlichen stellen. Weiterhin gibt es viele Angebote dort in St. Canisius eine lebhafte Gemeindearbeit. Dies u.a. durch die dort ansässigen Jesuiten.
(aktualisiert: 10.11.2024)
Externe Beiträge
Eintrag bei „Straße der Moderne“: http://www.strasse-der-moderne.de/portfolio/berlin-st-canisius/
Zum Werdegang des Wettbewerbs: https://www.tagesspiegel.de/kultur/und-am-naechsten-morgen-genehmigte-der-bischof-den-bau/82952.html
Hier finden Sie 2 3-D-Panoramen der neuen St.-Canisius-Kirche:
https://www.e-pixler.de/landingpage/rundblick_360_grad/index.php
Seite mit den realisierten Entwürfen bei Claus Neumann (damals: BNB, Büttner Neumann Braun): https://www.cn-architekten.de/projects/neubau-der-st-canisius-kirche/
Bilder des Projekts bei George Braun: http://www.georgebraunarchitekten.de/ausgewaehlte-projekte/st-canisius/#1
Die Seite der Künstlerin Joan Waltemath: https://www.joanwaltemath.net/st-canisius-berlin/1
Seiten der Pfarrei: https://christi-auferstehung.net/canisius
Sehr geehrter Herr Manthey,
folgender Absatz ist nicht ganz korrekt: „Es gibt eine Innen- und eine Außenkirche. Zwei Feierorte im Bezug zur umgebenen Stadt ohne jedoch schwellenlos zu sein. Jedoch aus dem gleichen Material, Straßenpflaster, dass auch als Kirchenboden verwendet wird, ein Außenaltar aus dem gleichen Material wie der im Inneren.“
Siehe dazu die Darstellung auf der Homepage der Gemeinde:
„[…]Obwohl auf dem oberen Platz manche liturgische Feiern möglich sind, stimmten Architekten und Gemeinde darin überein, dass dieser Offene Raum zweckfrei bleiben und nicht allgemein zugänglich werden solle.[…]“
&
„[…]Der Trierer Künstler Guy Charlier, der den Altar aus Kalkstein entwarf, gab der Verbindung von außen und innen einen starken, sinnfälligen Ausdruck, indem er eine dem Hauptaltar ähnliche Skulptur auf den äußeren Platz stellte.[…]“
beide Stellen aus https://sanktcanisius.de/baugeschichte/
Jetzt in Corona-Zeiten wird der Offene Raum verstärkt genutzt (z.B. zu Beginn und Abschluß einer Messe), aber dient nicht als eigene Kirche.
Viele Grüße