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- Author: Konstantin Manthey
- Posted: 16. Mai 2020
- Category: Kirchenporträts
Tägliche Kirche, Nr. 56, St.-Antonius- und St.-Shenouda-Kirche, ehemalige Glaubenskirche, Lichtenberg
Die ehemalige Glaubenskirche in Lichtenberg ist ein Sakralbau an dem ich einige Zeit täglich vorbeifuhr. Dort befindet sich aufgrund des Amtsgerichts, des Gefängnisses und der ehemaligen Stasi-Zentrale eine bekannte und geschichtsträchtige Gegend. Ebenso interessant, dass hier die evangelische Gemeinde Lichtenberg unter ihrem damaligen Pfarrer Hoener eine große, zweite Kirche errichten ließ, da auch Lichtenberg stetig anwuchs. 1903-05 wurde der, von Ludwig von Tiedemann entworfene, Bau durch Robert Leibnitz ausgeführt. Die Kaiserin Auguste Viktoria war sogar persönlich bei der Kirchenweihe anwesend.
Der Bau von außen
Der Bau ist ebenfalls eine Mischung verschiedener historischer Baustile. Somit zeugt Tiedemann bereits von einem kreativen komponieren alter Formen. Durch einen Sockelbereich aus Rüdersdorfer Muschelkalk wird beispielsweise der Eindruck erweckt ein romanischer Bau sei gotisch überbaut worden. Denn ein gros der Wandfläche ist in Handstrichziegeln gemauert und suggeriert Backsteingotik doch auch Formen der Rennaissance finden sich, z.B. in den Fenstergestaltungen und an den Giebel.
Allerdings ein aufwendiger Bau, der rund 340.000 Mark Kosten sehr wohl repräsentieren durfte. Auch aus diesem Grund ist die Kirche genordet. Somit ergab sich ein Vorplatz gegenüber dem Gerichtsportal. Der breite Turm mit zwei Turmabschlüssen ist 61 m hoch und insofern weit sichtbar. Der Chor hat einen Vier-sechstel-Abschluss. Ohnehin bildet die Dachstruktur eine herausragende Landschaft in der Stadt dar.
Innenraum und Weiternutzung
Im Inneren eröffnet sich dann dem Besucher eine Zweischiffige Hallenkirche. Der Schnitzaltar stammte übrigens aus der Bethanienkirche und ist bis heute in Benutzung.
Doch die historischen Wandmalereien wurden später übermalt einzelne Dekore, wie beispielsweise die Stützen der Empore deuten auf Jugendstileinflüße hin. Doch bis heute ist die Pracht der Erbauungszeit nachzuvollziehen.
Allein die fast verspielte Konstruktion der Orgelempore ist überdies ein Beleg der qualitätvollen Arbeit. Übrigens, einst bot die Kirchen über 1300 Sitzplätze.
Doch die Kirche wurde der Gemeinde in den 1970er Jahren zu groß. Die Kirche stand vielmehr leer. Dass die Gläubigenzahl sankt lag besonders hier auch an der direkten Nachbarschaft zum Ministerium für Staatssicherheit und der in der Umgebung wohnenden Mitarbeiter der Stasi. Infolgedessen fanden die Gottesdienste nur noch im benachbarten Gemeindehaus statt.
Das Pfarr- und Gemeindehaus in dem auch heute noch kirchliche Dienststellen und der Kindergarten untergebracht sind ist hingegen ein expressionistischer Bau der späten 1920er Jahre von Hans Claus und Richard Schepke.
Die Kirche hingegen wurde 1996 an die koptisch-orthodoxe Kirche in Deutschland verkauft und soll zur Bischofskirche umgebaut werden. Seit 2000 trägt die Kirche den Titel St. Antonius & St. Shenouda-Kirche. Auch wenn der Weg zur Sanierung des Innenraumes noch lang ist. Die Gemeinde hat seitdem viel erreicht.
Würdigung
Der spannende historisch-stilistisch gemischte Bau ist ein vielseitiges Beispiel der Geschichte von Kirchen in ihrem Umfeld sowie der Nachnutzung. Darüber hinaus ist seine Stadtlage und Fernwirkung eine Besonderheit die den Besuch lohnt. Mit etwas Glück ist der Hintereingang offen, denn die sozial sehr aktive koptische Gemeinde ist ein herzlicher Gastgeber für jeden Interessenten und läd gerne in ihre Kirche ein.
Weiteres auf dem Blog und im Netz
Erstens die Reihe: https://kirchenbauforschung.info/taegliche-kirche/
Seite der Gemeinde: http://www.koptische-gemeinde-berlin.de/index.htm
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