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- Author: Konstantin Manthey
- Posted: 8. April 2020
- Category: Kirchenporträts
Tägliche Kirche, Nr. 18 St. Canisius, Charlottenburg, die 2. Kirche von 2002
Auch heute geht es um die Jesuiten-Pfarrei und ihre Kirchen. 1921 wurde von Herz Jesu Charlottenburg aus eine neue Gemeinde gegründet. Diese erhielt 1924 eine Kapelle im Untergeschoß des Jesuiten-Kollegs, damals noch am Lietzensee. Damit war ein erster Kirchenraum in der Region vorhanden. Erst nach dem 2. Weltkrieg wurde bis 1955 die Kirche von Reinhard Hofbauer errichtet, über die gestern berichtet wurde.
Wettbewerb und Realisation
1996 wurde eine Wettbewerb entschieden. Doch weder der von einer Jury bestimmte Sieger das damalige Architektur-Büro Schmidt-Thomsen & Ziegert noch der Zweitplatzierte Edgar Wisnewski (1930-2007), der Partner Scharouns, wurden umgesetzt.
Wisnewski hatte einen Versuch zu einer ökologischen Kirche eingereicht, der auch aus Angst vor den Kosten dann nicht in Frage kam. Der 1. Preis war in seiner Struktur ein Bekenntnis zum gerichteten Raum und sicherlich ein Bezug zum Vorgängerbau wurde aber nicht weiterverfolgt.
Neben juristischen Problemen warf das Beispiel ganz deutlich die Frage nach der Bauaufgabe Kirche im 21. Jahrhundert auf. Eine Bestimmung, die weder der Bauherr Kirche noch Architekten bisher ausreichend definieren konnten. Wie offen oder geschlossen muss oder darf ein sakraler Raum sein, erscheint mir gerade heute der maßgebliche Gedanke.
Endlich kam es 2000 zum Bau des vollkommen überarbeiteten Entwurfs der Architekten BNB, Büttner Neumann Braun. Das Büro bestand von 1988 bis 2001, Heike Büttner ist mittlerweile Professorin in Weimar, Claus Neumann und George Braun arbeiten weiterhin als Architekten in Berlin. Sie erhielten im ursprünglichen Wettbewerb Bronze.
Ihr erneuter Plan wurde nun genehmigt und umgesetzt. Dabei ging es hier um Offenheit nach außen und Gemeinschaft nach innen. Es gibt eine Innenkirche die im Freien gegenüber einen Reflex findet. Dabei ist der Außenbereich ohne Zweckbindung (näheres s. u. Kommentar vom 20.7.20), jedoch aus dem gleichen Material, Straßenpflaster, dass auch als Kirchenboden verwendet wird. Eine Skulptur aus dem gleichen Material, Kalkstein, wie der Altar im Inneren stammt ebenfalls von Guy Charlier. Somit entstehen zwei Gegenpole, die sich ähneln und vielfältig ausdeutbar sind.
Materialität
Die Materialität von sichtbarem Beton ist seit langem ein Faszinosum. Die ersten Arbeiten mit dem Eisenbeton nach dem 2. Weltkrieg erzeugten bereits eine besondere Wirkung, wie es z.B. Carl Anton Meckel in Freiburg bei der Kirche St. Konrad und Elisabeth von 1930. Das was Architekten seither reizt ist die vermeintliche Formbarkeit von Baukörpern durch die Vielseitigkeit des Betons bis hin zu seiner Sichtbarkeit dem „béton brut“, also dem Sichtbeton. Im Jahr 2000-2002 ist das wesentlich filigraner und bis hin zu den Kreuzen in der Oberfläche von Joan Waltemath, einer New Yorker Künstlerin.
Fazit
Gleichwie, die heutige St.-Canisius-Kirche wurde mehrfach preisgekrönt und das zu recht. Entstanden ist eine klare Position von Kirchenraum heute. Im kommenden Jahr feiert die Gemeinde 100jähriges Bestehen. Es bleibt zu wünschen, das trotz der Verwerfungen auch die spannende Baugeschichte ausreichend thematisiert wird.
(aktualisiert: 20.7.2020)
Externe Beiträge
Eintrag bei „Straße der Moderne“: http://www.strasse-der-moderne.de/portfolio/berlin-st-canisius/
Zum Werdegang des Wettbewerbs: https://www.tagesspiegel.de/kultur/und-am-naechsten-morgen-genehmigte-der-bischof-den-bau/82952.html
Hier finden Sie 2 3-D-Panoramen der neuen St.-Canisius-Kirche:
https://www.e-pixler.de/landingpage/rundblick_360_grad/index.php
Seite mit den realisierten Entwürfen bei Claus Neumann (damals: BNB, Büttner Neumann Braun): https://www.cn-architekten.de/projects/neubau-der-st-canisius-kirche/
Bilder des Projekts bei George Braun: http://www.georgebraunarchitekten.de/ausgewaehlte-projekte/st-canisius/#1
Die Seite der Künstlerin Joan Waltemath: https://www.joanwaltemath.net/st-canisius-berlin/1
Interna
Die Reihe im Überblick: https://kirchenbauforschung.info/taegliche-kirche/
Sehr geehrter Herr Manthey,
folgender Absatz ist nicht ganz korrekt: „Es gibt eine Innen- und eine Außenkirche. Zwei Feierorte im Bezug zur umgebenen Stadt ohne jedoch schwellenlos zu sein. Jedoch aus dem gleichen Material, Straßenpflaster, dass auch als Kirchenboden verwendet wird, ein Außenaltar aus dem gleichen Material wie der im Inneren.“
Siehe dazu die Darstellung auf der Homepage der Gemeinde:
„[…]Obwohl auf dem oberen Platz manche liturgische Feiern möglich sind, stimmten Architekten und Gemeinde darin überein, dass dieser Offene Raum zweckfrei bleiben und nicht allgemein zugänglich werden solle.[…]“
&
„[…]Der Trierer Künstler Guy Charlier, der den Altar aus Kalkstein entwarf, gab der Verbindung von außen und innen einen starken, sinnfälligen Ausdruck, indem er eine dem Hauptaltar ähnliche Skulptur auf den äußeren Platz stellte.[…]“
beide Stellen aus https://sanktcanisius.de/baugeschichte/
Jetzt in Corona-Zeiten wird der Offene Raum verstärkt genutzt (z.B. zu Beginn und Abschluß einer Messe), aber dient nicht als eigene Kirche.
Viele Grüße