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Tägliche Kirche, Nr. 93, St. Thomas, Berlin-Kreuzberg

St. Thomas steht auf dem Mariannenplatz. Der ist übrigens in Form eines Hippodroms 1853 angelegt durch von Peter Josef Lenné. Bald wurde die Gegend durch die Urbanisierung eingeholt, statt ländlicher Struktur dominierten Wohnbauten das Gebiet. 1864 wurde es somit ausgepfarrt. Bereits früh wurde dort ein Kirchenbau, später in nordöstlicher Lage des Platze, eingeplant. Eine Monumentalkirche war vielmehr von Beginn angedacht und das Projekt wurde im Juni 1862 in einem Architekturwettbewerb ausgeschrieben.              
Endlich sollte der bedeutende Architekturtheoretiker seiner Zeit und Schüler Friedrich August Stülers (1800-1865), der 35jährige Professor an der Berliner Bauakademie Friedrich Adler (1827-1908) mit seinem symmetrischen Entwurf. Der Grundstein wurde jedenfalls 1865 gelegt. Der errichtete Bau erfuhr aufgrund der Bauplatzsituation keine Ostung, die Kirche wurde genordet.

Ansicht auf St. Thomas, vermtl. aus: Karl Emil Otto Fritsch, Der Kirchenbau des Protestantismus von der Reformation bis zur Gegenwart, Berlin 1893, S. 262f.

Außen

Adler selbst folgendes:

„Für den Aufbau und die Gliederung der Façaden ist der Verfasser von der durch ein langjähriges Studium der Baugeschichte gewonnenen Erkenntnis ausgegangen, daß für die Zwecke des modernen evangelischen Kirchenbaukunst eine synthetische Verbindung der mittelalterlichen Structursysteme mit hellenischen Kunstformen mehr und mehr zu erstreben, und somit einem Wege zu folgen sein, welchen bereits Schinkel an der hiesigen Bauschule durch Wiederaufnahme und Verwendung des Strebepfeilers etc. eingeschlagen hat.“

(Adler: Die St. Thomas-Kirche zu Berlin. In: Zeitschrift für Bauwesen. Jahrgang 21 (1871), Sp. 19–26, 321–328, Hier: Sp. 25)

Grundriss mit ursprünglicher Bankstellung, Q: Berlin und Seine Bauten, 1896, S. 165.

Aufbau und Baugliederung

Der Grundriss erinnert ferner stark an die Kleeblattgrundrisse der Romanik. Dieser Stil scheint ohnehin die Außengestaltung zu dominieren, Ausnahme die Obergeschosse der Türme, wo altchristlich-antike Motive auftauchen. Durch die Verwendung verschiedener Backsteintönungen entstand weiterhin eine unregelmäßige Außenfarbigkeit.

Portal der Kirche, gut erkennbar die unterschiedlichen Steintönungen, Foto: Sarah Ewart / CC BY-SA, Q: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0), Q: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:SarahEwart-098.JPG (Zugriff: 21.6.20)

Marina Wesner merkt zurecht an, dass die katholische St. Michaelskirche nach Plänen von August Söller (1805-1856), 1861 fertiggestellt, zwischen Schinkels Kirche auf dem Friedrichswerder und dort St. Thomas stilistisch zu vermitteln scheint. Dabei nimmt er Schinkels Bauideen wir die Doppelturmfront der Friedrichwerderschen Kirche oder die Tambourkuppel von Schinkel Vorstadtkirchenprojekten wieder auf. Solch eine findet sich übrigens auch bei St. Michael, nur war dieser – katholischen – Kirche keine Turmfront vergönnt.

St.-Thomas-Kirche Berlin-Kreuzberg Aussenansicht, Foto: © Raimond Spekking (2004), Q: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:St.-Thomas-Kirche_-_Berlin_-_Portalansicht.jpg (Zugriff:21.6.20)

Materialität

Der äußerliche, in seiner Anzahl aus Kostengründen reduzierte Bauschmuck und die Maßwerkelemente stammten übrigens aus der Tonwarenfabrik von Ernst March und Söhne. Adler schuf trotz der Längsausrichtung einen zentral funktionierenden Raum, in dem ohne große Einschränkung die Sicht und bestenfalls auch die Akustik funktionieren sollte. Sein baupraktischer Einsatz von Eisenelemente bei Kuppel (Ringanker) und Tragwerk der Emporen galt Zeitgenossen ebenso wie die ganze Anlage als wegweisend

Zeichnung des historischen Innenraums, aus: Karl Emil Otto Fritsch, Der Kirchenbau des Protestantismus von der Reformation bis zur Gegenwart, Berlin 1893, S. 262

Innen

Der historische Innenraum

Die ursprüngliche Kirche hatte trotz der großen „Sitzabtheilungen“ ausreichend Außengänge, um „den, oft so störenden Verkehr einzelner zu spät kommender Personen […] nach außen zu drängen“, wie Adler selbst schreibt. Der Altarraum war erhöht und außerdem der Marmoraltar weit nach vorn gestellt, damit die Liturgiker genug Raum hatten. Die großen und kleinen Fenster lieferten somit Tageslicht und eine „Gasbeleuchtungsanlage mit 287 Flammen“ die Abendbeleuchtung. Mit „starkeingebundenen Rippen und Schlussringen“ versuchte Adler bspw. die Akustik zu verbessern. „Der gesamte Innenraum hat eine maßvolle aber doch etwas reichere farbige Behandlung erfahren, als dies in der evangelischen Kirchenbaukunst im Allgemeinen üblich gewesen ist.“ Diese maßvolle Farbigkeit verdiene somit eine Fortführung durch die Kollegen, so Adler.

Weiterhin schrieb der Baumeister zur Innenausstattung:

„Die schlanken bronzierten Eisensäulen, die Eichenholzdecken unter den Emporen und die gleiche Färbung der Bestuhlung, endlich eine sparsam vertheilte Vergoldung an den Decken sollen schließlich dem Auge theils Ruhepunkte, theils Anziehungspunkte gewähren, wobei im Großen und Ganzen das Bestreben sich geltend zu machen sucht, eine milde, feierlich und weihevolle Grundstimmung in dem Gemüthe der Kirchenbesucher zu erwecken.“

(Adler: Die St. Thomas-Kirche zu Berlin. In: Zeitschrift für Bauwesen. Jahrgang 21 (1871), Sp. 19–26, 321–328, Hier: Sp. 326)

Querschnitt der Kirche, vermtl. Q: Berlin und Seine Bauten, 1896, S. 165.

Kuppeln und Regularien

Dabei hatte Adler durch die verschieden angewandten Kuppelformen in den einzelnen Raumteilen für komplizierte Schublasten gesorgt, welche er durch die verschiedenen Innenliegenden Streben, Pfeiler, Stützen und Träger bewältigen konnte. Der Architekt versuchte überdies mit seiner Kirche, als einer der ersten, das Eisenacher Regulativ (1861) umzusetzen, das forderte u.a. einen Longitudialbau, erhöhten Altarraum, eine Verschiebung der Kanzel Richtung Vierung (ctr. Kanzelaltar), zwei Türme im Westen u.v.m. nur die dort gewollte Ostung der Sakralbauten konnte hier nicht erfolgen.

Der Innenraum, Foto: Sarah Ewart / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0), Q: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:SarahEwart-099.JPG (Zugriff: 21.6.20)

Gestaltung nach dem Krieg

Nach den Zerstörungen der Kirche wurde St. Thomas Innen durch Werner Retzlaff (1890-1960) und nach dessen Tod sowohl weiterhin von Ludolf von Walthausen (geb. 1926) zwischen 1956 und 1964 Instand gesetzt. Dabei kam es u.a. zu folgenden Veränderungen: Einbau einer vergrößerten Empore, die tief in Langhaus reichend auch Orchester ermöglicht. Die Querschiffemporen wurden allerdings nicht erneuert, in den Kappen wurde Akustikputz aufgebracht. In der ehemaligen Apsis wurde dafür ein Chorboden als Bühne aufgestellt.

Blick zur Orgel, Foto: Sarah Ewart / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0), Q: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:SarahEwart-100.JPG (Zugriff: 21.6.20)

Übrigens eine 1. Orgel wurde bereits 1865 angeschafft (F. Dinse, Berlin) Nachdem es unterschiedliche Beschädigungen und Zwischenlösungen gab, ist nun die mehrfach überarbeitete Schleifladenorgel mit mechanischer Spiel- und elektrischer Registertraktur mit eingebautem Spieltisch von Orgelbau Rudolf von Beckerath (Hamburg) in Betrieb.

Die Altarinsel unter der Vierung mit Baldachin, Foto: Sarah Ewart / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0), Q: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:SarahEwart-102.JPG (Zugriff: 21.6.20)

In die Vierung wurde dann ein neuer Altarbereich unter einem Baldachin eingebaut (ähnlich historistischer katholischer Tradition). Ebenfalls wurde auf eine feste Kanzel verzichtet. Es gab ferner Ummantelungen der antik dekorierten Eisensäulen. Mir erscheint dies aus heutiger Sicht übrigens ein nahezu „katholisches“ Raumprogramm zu sein, mit dem Fokus auf das Abendmahl und die Communio. Nur noch 500 Sitzplätze sind eingebaut worden, aufgrund der neuen Bevölkerungsstruktur waren mehr unnötig. Überdies erhielt der Raumansicht durch die wenigen Sedilien wieder einen höheren Wirkungsgrad.

Fazit

Die veränderte Gemeindegestalt in den 1980er Jahren führte dazu, dass die Kirche zu groß wurde und ihr Erhalt gesichert war. Schließlich kam es zu einem Zusammenschluss des Landes Berlin (Grundeigner) und verschiedener kirchlicher Gruppen. Somit konnte die St. Thomas Kirche zwischen 1989 und 1999 doch saniert werden und steht nun neben den Gottesdiensten als offene Kirche auch für Ausstellungen und Kulturprojekte zur Verfügung.

Blick auf St. Thomas von Nordosten, Foto: Martin Kraft / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0), Q: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:MK19459_St.-Thomas-Kirche_Mariannenplatz_Berlin.jpg (Zugriff: 21.6.20)

Die äußerlich noch erhaltene Kirche ist überdies ein Bau des architektonischen Aufbruchs im 19. Jahrhunderts. Darüber hinaus stellt Adlers ebenfalls einen Paukenschlag in Richtung Moderne dar, der Architekt schuf, im Wissen um die Tradition, eine zukunftsfähige Großkirche. „Der Wiederaufbau der St Thomas Kirche mit neuem Programm“ unter Retzlaff und von Walthausen brachte Innen eine den neuen, realistischen Bedingungen von Kirche und Ort angemessene ebenfalls modern-revolutionäre Raumgestalt. Doch nun gilt es aus diesem Erbe etwas im 21. Jahrhundert zu machen.

Weiterführendes

Die REIHE: https://kirchenbauforschung.info/taegliche-kirche/

Die Seite der Gemeinde: http://www.stthomas-berlin.de/seite/187260/aktuelles.html

Zur Baugeschichte, ausführlicher Teil 1
Hier gibt es noch Abbildungen

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