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Maria Meeresstern, Sellin auf Rügen

Maria Meeresstern in Sellin ist wohl die katholische Kirche mit der malerischsten Lage. Einst für vornehme Urlauber erbaut war sie nach dem Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang religiöse Heimat für Vertriebene. Mittlerweile ist die Kirche an der Steilküste regelmäßig in der Urlaubssaison wieder geöffnet (von Pfingsten bis Oktober, Dienstag bis Sonntag 12-18 Uhr). D.h. die kleine idyllische Kapelle ist nun wieder eine Urlauberkirche.

„[D]ie katholischen Badegäste von Sellin gesellschaftlich zu sammeln, um mit deren Hilfe die Abhaltung eines regelmäßigen katholische Gottesdienstes in Sellin während der Badezeit zu ermöglichen und den Bau der hierzu in erster Linie erforderlichen Kapelle thunlichst bald in die Wege zu leiten“

(zit. nach Schwillus/ Brühe 2009, S. 202)

Vorgeschichte

Dies stand am Beginn der Satzung des 1909 gegründeten katholischen Strandclubs. Rügen war zu einem deutschlandweiten Urlaubsort geworden. Um 1900 war aus dem Fischerdorf ein mondäner Badeort geworden. Katholische Urlauber unter ihnen auch etliche Priester wollten auch während ihrer Sommerfrische das Messopfer feiern. Ab 1906 gab es dann in den Sommermonaten Gottesdienst. Dafür wurde ein Urlaubsgeistlicher als Stranddechant eingeteilt. 1907 startete dann der katholische Pfarrer der Insel, von 1905 bis 1917 auf Rügen, Maximilian Kaller (1880-1947), mit Sitz in Bergen einen Spendenaufruf für einen Kirchenbau.

Sellin, Maria Meeresstern, katholische Kirche, Rügen, Kirchenbauforschung
M. Kaller: Spendenaufruf zum Bau einer Kapelle in Sellin (Rügen),
Q: ABW Paderborn, Mappe Rügen

Maximilian Kaller

Als der junge Geistliche auf Rügen ankam, war die Insel katholisch verwaist. Bis zu seinem Amtsantritt als Priester in der Missionsgemeinde Bergen, kam es dort meist nur sporadisch zu Gottesdiensten. Maximilian Kaller hingegen war zwar jung und kränklich, dafür voller Tatendrang. Als er die Insel gen Berlin Mitte, St. Michael, 1917, verlässt, hat er eine katholische Struktur geschaffen. Hat sich die Füße abgelaufen und die einheimischen deutschen Katholiken, die polnischen Landarbeiter und die katholischen Urlauber hinter sich gebracht. Schließlich wird er ebenso in Berlin große Spuren hinterlassen, um dann nach Schneidemühl und endlich Frauenburg als Bischof von Ermland zu wechseln.

Als er nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr seine Diözese leiten kann, wird er zum Päpstlichen Sonderbeauftragter für die Heimatvertriebenen. Bis er 1947 in Frankfurt verstirbt ist er bereits eine Identifikationsfigur der Katholiken fern der Heimat geworden. Zwar ist die Figur Kaller facettenreich zu betrachten, dennoch sind seine Leistungen als Pfarrer und Bischof bewundernswert. Für Rügen schuf er mit den Kapellen- bzw. Kirchen(aus)bauten Anlaufstellen in Garz, Sellin und Bergen und bot somit den verschiedenen Gruppen eine Heimat.

Ausschnitt einer historischen Sellin-Karte um 1910, mit dem Kapellenbauplatz (rot markiert);
Q: Deutsche Fotothek/ slub: http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/90008420
(Zugriff: 28.7.24)

1912 konnte die Katholische Kapelle Maria Meeresstern, stella maris, eingeweiht werden. Zur gleichen Zeit wurde auch die 1913 geweihte evangelische Gnadenkirche begonnen. Diese ist hingegen im Stil des neubarock gehalten, nach einem Brand, 1960, wurde diese in einfachen Formen wieder hergestellt.

Katholische Kirche und ihr Architekt Heinrich Krings

Die Katholische Kirche hingegen errichtete der Kölner Architekt Heinrich Krings (1857-1925). Dieser kam durch einen der Urlaubsgäste auf die größte Insel Deutschlands. Darüber hinaus war er selbst Präsident des Strandclubs. Krings studierte in Aachen, Stuttgart und Berlin. Es wird eine Nähe zu Vincenz Statz angenommen. Dieser 2. Dombaumeister in Köln, war ein einflussreicher deutscher Architekt und verwandt mit Carl Kühn.

In einer Dissertation von 2005 über Krings fehlt die Selliner Kirche sogar. Obwohl Sakralbau meist eine regionale Angelegenheit war, kam es durch Orden oder eben, wie im Fall auf Rügen, durch rheinländische Ostseeurlauber auch zu Ausnahmen. Im Erzbistum Berlin gab es besonders in der Kaiserzeit verschiedene Beispiele hierfür (so z.B. St. Peter und Paul in Eberswalde, von Vincenz Statz oder die Kirche in Neuruppin (Herz Jesu) von dessen Sohn Franz Statz).

Sellin, Maria Meeresstern, katholische Kirche, Rügen, Kirchenbauforschung
Die Kapelle in der heutigen Form, farbige Ansichtskarte
Q: Bildarchiv der Kunstbeauftragten EBO

Außenbau

In Sellin entstand somit eine malerische Kirche direkt am Wasser und doch mitten im Wald. Sie weißt eine basilikale Struktur auf. Der weiß verputzte Bau in frei gotisierenden Stilformen erhielt eine plastisch-dekorative Architekturgliederung (Lisenen, Eck- und Strebepfeiler) aus Feldsteinen. Auf dem Fassadengiebel war ursprünglich ein Dachreiterturm mit barockisierender Haube angebracht. Heute befindet etwas weiter hinten ein einfacher rechteckiger Turmaufsatz über dem Querdach.  

Die ursprüngliche Bauform mit Glockenträger am Giebel,
Q: PfAR St. Bonifatius, Rügen, Kirche Sellin
Der heutige Glockenträger; Foto: K. Manthey, 2021

Innenraum

Der einstige Hochaltar
Q: PfAR St. Bonifatius, Rügen, Kirche Sellin

Im Inneren befinden sich übrigens noch einige historische Glasfenster und ein Hauptaltar. Die Chorfenster kamen vermutlich erst in den 1990er Jahren, während der 1995 abgeschlossenen Sanierung.

Der Chorraum, Foto: K. Manthey 2024

An der Chorrückwand ist heute die Mitteltafel des Altarretabels erhalten. Dort ist ein getriebenes Kupferblechrelief, angebracht. Dies hat den reichen Fischzug zum Thema und stammt vermutlich vom Berliner Künstler Wilhelm Haverkamp (1864-1929), der auch in Berlin tätig war (z.B. in Steglitz Rosenkranz oder St. Marien Friedenau). Vom restlichen Hochaltarteilen ist anscheinend das Kreuz und der Tabernakel erhalten. Der Retabel und die Seiten Reliefs fehlen.

Darüber hinaus ist es interessant sich der Wappen im Kirchenraum zu widmen. Vermutlich stehen Sie mit Stiftern in Zusammenhang. Diese finden sich an den Schlusssteinen der Gewölbe. Ebenso gibt es ein besonderes Wappen an dem Stipes des Altars. Leider habe ich bisher dazu keine weiteren Erkenntnis machen können. Gut denkbar, dass sich dort neben den Stiftern in den überkommenen historischen Fenstern ebenfalls Geldgeber verewigen konnten. Entweder mit ihrem eigenen Wappen oder einem Wunschmotiv. Im späten Kaiserreich war bin höheren Kreisen die Heraldik wieder schwer angesagt.

Chorraum heutiger Zustand
Foto: K. Manthey, 2021
Detail des Reliefs von Wilhelm Haverkamp
Foto: K. Manthey, 2021

Seitenaltäre und Publikum

Ursprünglich gab es vier Seitenaltäre die in der Urlaubssaison durch Priester auf Urlaub reichlich genutzt wurden. Diese hatten bis zum II. Vatikanischen Konzil täglich eine (Privat-)Messe zu halten. Für die Einteilung und Planung war ebenfalls der ernannten Stranddechant zuständig. Während die Herz-Jesu-Kirche in Garz für die auf Rügen tätigen Schnitter, meist polnische Landarbeiter, errichtet wurde, waren diese in Sellin staatlicherseits nicht erwünscht. Dort blieben die bürgerlichen deutschen Besucher unter sich.

Historische Innenansicht aus der Erbauungszeit, mit Bänken als Mittelblock
Q: PfAR St. Bonifatius, Rügen, Kirche Sellin

Die beiden erwähnten Kirchen entstanden in der Dienstzeit (1905-1917) des späteren Bischofs des Ermlandes Maximilian Kaller. Er verstärkte die katholische Seelsorge auf der Insel. Die zum Beginn der Missionspfarrei in Bergen, 1864, gut 200 dauerhafte Gemeindemitglieder hatte. Dafür werden 1938 2500 Gläubige benannt und nach dem 2. Weltkrieg aufgrund der Fluchtbewegungen sind es sogar 8000 Katholiken, die sich auf der Insel niederlassen. Heute sind es gut 1500 festansässige Gemeindeglieder.

Marienwallfahrt

Besonders aufgrund der Flüchtlinge entsteht in 1951 die Marienwallfahrt nach Sellin. Dafür stiften die Pilger 1952 einen Marienaltar, den der Berliner Holzbildhauers Georg Tyllack (1911–1975) schnitzte. Maria schreitet mich dem Jesuskind über die Ostsee. Aufgrund behördlicher Bedenken wurde die Wallfahrt Ende der 1960er Jahre nach Bergen verlegt. Dem voraus gingen staatliche Boykotte, u.a. im Bereich der Verkehrsmittel. D.h. die kirchlichen Stellen konnten bei den staatlichen Tourismusbetrieben und der Bahn keine Sonderkontingente mehr erhalten, mit denen zu Beginn der Wallfahrt der Transport der bis zu 5000 Wallfahrern ermöglicht wurde. Somit wurde in Bergen, in der ehemaligen Klosterkirche St. Marien, Mitte der 1960er-Jahre ein besser erreichbarer Ersatzort geschaffen – ein weiteres ökumenisches Projekt in der DDR. Nach der politischen Wende konnte die Wallfahrt der Sudetendeutschen dort am Ausgangsort wieder aufgenommen werden. Übrigens, 2026 feiert die Marienwallfahrt, nun wieder am Ursprungsort, ihr 75jähriges Bestehen am Pfingstmontag.

Georg Tyllack: Marienaltar, um 1952
Foto: K. Manthey, 2021

Würdigung

Die idyllisch im Wald gelegene Kirche, unweit der Strandpromenade, ist heute wieder ein Ort für Sommergäste. Ebenso wurde die Wallfahrt zum Marienbild wieder belebt. Eine Kirche die sich nicht nur aufgrund ihrer früh rheinisch anmutenden Gotik lohnt. Dort gibt es nun von Pfingsten bis Oktober in jedem Jahr ein Angebot für Besucher. Dies wird von der Tourismuspastoral im Erzbistum Berlin ermöglicht. Dienstag bis Sonntag ist die Kirche Maria Meeresstern von 12 bis 18 Uhr offen. Ehrenamtliche betreuen in der Zeit die Kirche, es gibt Kaffee, Tee, Wasser und bei Bedarf Gespräche. Dafür werden immer wieder Freiwillige gesucht, 1 Woche, 1 freier Tag gegen freie Logis.
Für mich war dies in diesem Jahr eine schöne Erfahrung und wieder eine besondere Begegnung mit der einzigartigen Kirche Maria Meeresstern in Sellin auf Rügen, direkt am Meer.

(Dieser Beitrag ist die 4. Überarbeitung, 2019, 2020, 2021 und nun 2024)

Sellin, Maria Meeresstern, katholische Kirche, Rügen, Kirchenbauforschung
Marienwallfahrt nach Sellin, Aufnahme der 1950er,
Q: https://www.katholischekirche-ruegen.de

Die Videos zu Kirche und zur Wallfahrt

Interne Weiterleitungen

Die ursprüngliche Reihe: https://kirchenbauforschung.info/taegliche-kirche/

Weitere Kirchen im Ostseeraum:

Externe Links

Wikipediabeitrag zur Kirche:
https://de.wikipedia.org/wiki/Maria_Meeresstern_(Sellin)

Über die Kirche auf den Gemeindeseiten:
https://www.heiliger-bernhard.de/gemeinden-orte/st-bonifatius/sellin

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