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- Author: Konstantin Manthey
- Posted: 30 April, 2023
- Category: Hintergrund
Märkische Tradition bei Carl Kühn
Am 19. April vor 150 Jahre wurde Carl Kühn geboren. Im Zusammenhang mit diesem Jubiläum entstand die Tagung und Ausstellung: Ungebaut…! Sakrale Visionen vom Klassizismus bis zur Gegenwart. Märkische Tradition ist ein Thema in der (Kirchen-)Architektur. Vor allem entbrennen daran bis heute Zuordnungsdebatten. Welcher Architekt gehörte in welches Lager: Traditionalist oder Moderner? Umso schöner, dass unser Team vom Berliner Kirchenbauforum diese Veranstaltungen ab dem 20. April 2023 auf den Weg gebracht hat. Hinsichtlich Carl Kühn, konnte ich einige Gedanken dazu in der Ausstellung zu Papier bringen. Also heute exklusiv und alles gute Zum Geburtstag, Herr Diözesanbaurat Nummer eins!
Zwischen Mittelalter, Historismus und Moderne
Es ist nichts Neues, dass Architekten einst und heute sich immer wieder an der lokalen Bautradition orientieren. Besonders in der Zeit zwischen den Weltkriegen entstanden dabei Ideen, die keine historistischen Entwürfe mehr waren, sondern eine Art moderne Interpretation traditioneller Architektur, oft nur auszugsweise und zeichenhaft. Am Beispiel des Architekten und kirchlichen Baurats Carl Kühn werden einige dieser Arbeiten vorgestellt. Darüber hinaus finden sich diese Ansätze auch in der Backsteinarchitektur des Expressionismus. Architektur mit traditionellen Stilelementen stellt eine lokale und historische Verbundenheit, z.B. zu den mittelalterlichen Klöstern der Mark Brandenburg her. Da das Mittelalter hier als katholische Hochzeit galt, bot sich der Rekurs als eine Art historische Rückversicherung an. Mit der Verwendung regional typischer Materialien, wie bspw. Backstein als dazu noch günstigem Baustoff, trugen viele Baumeister dieser Tradition Rechnung. Zwar änderte sich die Zeichensprache, doch die Idee des Sich-Beziehens blieb. Vermutlich bezogen sich Kühn und andere auf ihre historistischen Lehrer, für Berlin Professoren wie Bernhard Kühn oder Christoph Hehl. Die hier gezeigten Entwürfe Carl Kühns verdeutlichen, wie vielfältig regionale Typologien angewandt wurden – einmal als Kopie und ein anderes Mal neu interpretiert.
Beispiele für die Märkische Tradition bei Kühn
Lichtenrade, 1913
Dieser Entwurf für eine katholische Kirche in Lichtenrade von 1913 erinnert an eine spätromanische Dorfkirche. Gut möglich, dass die mittelalterliche Kirche des nahe gelegenen Marienfelde oder auch Hehls historistische Rosenkranzkirche von 1900 Vorbilder waren. Die eingerückte Kirche hat einen breiten Turm, dessen Sockelbereich aus Feldsteinen zu bestehen scheint. Darüber bilden sich gotisierende Gliederungen in Backstein mit hellen Blendflächen und Öffnungen aus. Gerahmt wird der Vorplatz mit Funktionsgebäuden. Das Projekt kann als eine Stilkopie gelten.
Heegermühle (Finow), 1928
Für einen Kirchenentwurf in Eberswalde-Finow (damals: Heegermühle) bediente sich Kühn ganz der Bautradition. Der basilikale Bau mit gotisch anmutender Giebelfront und Dachreiterturm erinnert zunächst an mittelalterliche Bettelordenskirchen. Gebaut wurde später ein moderner erscheinendes Projekt von Josef Bachem, St. Theresia vom Kinde Jesu, 1934 geweiht.
Berlin-Neukölln, 1929
Eine besondere Synthese aus dem Schaffen Carl Kühns ist die gezeigte Bebauungsskizze für das Grundstück Teupitzer-/ Ecke Schudomastraße in Berlin-Neukölln. Das Areal liegt unweit des S-Bahnhofs Sonnenallee. Dort war seit 1927 eine Kirche geplant. Vermutlich forderte die Baupolizei einen Vorentwurf. Daher skizzierte der Architekt eine gotischexpressive Variante als Eckbebauung mit Schaugiebel und Turmanlage. Die Beschriftung macht außerdem deutlich, dass man plante, mit dem Verkauf von Häusern Einnahmen für die Finanzierung zu erzielen. Es blieb bis 1975 bei einer Notkirche auf dem Hof.
Kirche in Berlin-Mitte (später: St. Adalbert), um 1931
Für eine Lückenbebauung in Berlin-Mitte lieferte Kühn um 1931/32 ebenfalls Entwürfe. Der Schaugiebel war hier die Chorwandaußenseite zur Linienstraße hin. Der Bezug zu den Giebeln des märkischen Mittelalters, wie bspw. bei den Zisterzienserklöstern ist deutlich. Dennoch erscheint diese Skizze als eine gelungene Verbindung zur Moderne. Umgesetzt hat die Kirche letztlich Clemens Holzmeister. Die Schauseite mit einem Halbzylinder in Backstein ist weithin berühmt geworden.
Templin, 1934
Der hier abgebildete erste Entwurf für Templin aus dem Jahr 1934 zeigt im Vergleich zum realisierten Bau noch einen einfachen, offenen Glockenträger als Portalturm. Der Baukörper wirkt zu Beginn reduzierter und war erweiterbar geplant. Beeindruckend sind bei dem Entwurf der flache Anbau sowie die dreiteilige Giebelanlage an der Rückseite des Gebäudes: ein Verweis auf mittelalterliche Ziergiebel. Schließlich realisierte Kühn 1935 die Herz-Jesu-Kirche mit sichtbarem Turm.
Zusammenfassung
Carl Kühn lieferte viele Entwürfe, die sich auf Märkische Traditionen in der Architektur bezogen. Dabei war er zunächst ganz in den Spuren historistischer Auffassungen. Spannenderweise wurde der Umgang des Architekten und Diözesanbaumeisters damit verspielter. Nahezu modern wirken die Entwürfe für Neukölln und Templin. Vielleicht lieferte der Architekt dabei deswegen so expressive Skizzen, weil er wusste, dass es sich zunächst nur um Ideen handelte. Die Chance, dass diese Kirchen so hätten gebaut werden können, musste Kühn bereits damals als gering einschätzen. Diese Spannung in den verschiedenen Varianten von Architekturskizzen, zwischen schneller Idee und durchdachter, mit vielen Aspekten angereichertem Entwurf, kann man bis zum 10.5.2023 noch in unser Ausstellung: : Ungebaut…! Sakrale Visionen vom Klassizismus bis zur Gegenwart, sehen.
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