Loading

St. Marien, Berlin-Reinickendorf

Im 13. Jahrhundert entstand der Ort, der heute Reinickendorf heißt. Zunächst waren es wenige Bauern, die im Rahmen der askanischen Siedlungswelle die Gegend nutzbar machten. Nach wenigen Jahrzehnten gab es bereits eine Holzkirche. Im 15. Jahrhundert, das Dorf wuchs und gedieh, entstand die heutige Dorfkirche auf dem Anger unter dem Patronat der Gottesmutter. Der Begriff Reinickendorf stammt übrigens nicht vom Fuchs, dem Wappentier, sondern von einem der Großbauern vor Ort, wohl einem Herrn Reinhard bzw. Reginhard (niederdeutsch: Reinicke).

Die erste katholische Niederlassung, das Kloster vom Guten Hirten

Klostergebäude (die Kirche ist kriegszerstört), Fotopostkarte, Q: Slg. Manthey

Ende des 19. Jahrhunderts begannen die Schwestern vom Guten Hirten ihre Arbeit in der Residenzstraße. Dort gründeten sie eine Zweigstelle des Klosters in Charlottenburg. Später entstand übrigens eine neugotischer Klosterkomplex des Architekten Carl Moritz, einem heute vergessenen Stern der Architekturgeschichte um 1900 zwischen Berlin, Köln und Münster. Wenn man von den absoluten Zahlen ausgeht drei katholische Grossstädte, doch mit ganz anderen Bedingungen. Die Klosterkirche wurde 1900 geweiht.

Erste Gemeindekapelle und erster Seelsorger

In der ersten Klosterniederlassung gab es eine Kapelle. Dort fand der Gemeindegottesdienst statt. Diesen hielt der Kaplan der Nonnen, Johann Leopold Panske (1887-1908 als Geistlicher vor Ort) die Messen. Er wurde später zum ersten Pfarrer von Reinickendorf. Dabei war sein Pfarrgebiet so groß, dass es bis an die Grenzen Mecklenburgs reichte. Städte wie Oranienburg und später Velten sowie Zehdenick zählten dazu. Unermütlich war Panske im Einsatz um ab 1895 Kirchen zu errichten, drei davon sind überdies bauliche Geschwister, alle vom Baumeister Wilhelm Dassler aus Oranienburg errichtet. Dort lies er sich schließlich der Pfarrer nieder. So dass er weit weg von Reinickendorf war.

Gemeindekapelle, Fotopostkarte, Q: Slg. Manthey

Wo es nicht gelang, außer einem Pfarrhaus mit eigener, größerer Kapelle, beides nach dem Entwurf von August Kaufhold in der Benkestraße (heute: Letteallee), größere Pläne umzusetzen. Denn auch nach der Weihe der Klosterkirche war man in der kleinen Kapelle geblieben. Am neuen Standort wollte man auch eine Kirche errichten.

Innere der Kapelle, Fotopostkarte, Q: Slg. Manthey

Auf dem Weg zur eigenen Kirche

Dies sollte erst unter Panskes Nachfolger, Bruno Scheidtweiler (Pfarrer von 1908 bis 44), gelingen. Seitens des Bischofs in Breslau gab es die Forderung Baugrund näher am historischen Ortskern zu finden. Also erwarb die Gemeinde schließlich das heutige Gelände im damaligen Schönholzer Weg (heute: Klemkestraße). Somit lag die katholische Kirche nun gut 500m entfernt von der ersten Reinickendorfer Kirche und direkt an einem großen Parkgelände und später inmitten einer später errichteten Wohnsiedlung.

Porträt Bruno Scheidtweilers von 1928, als Mitglied des Ritterordens vom Hl. Grab

Die Baugeschichte der Kirche St. Marien

1913 begann das Baugeschehen, die Fundierungsarbeiten gingen gut voran. Im Folgejahr konnten monatelang keine Ziegel geliefert werden, so dass es zu Verzug kam. Schließlich wurden nach und nach immer mehr Männer zu den Waffen gerufen. Im Sommer 1915 musste der Bau stillgelegt werden. So erging es übrigens vielen kirchlichen Bauvorhaben, so z.B. auch beim Bau von St. Norbert in Schöneberg. Zu diesem Zeitpunkt war der Turmfertig gestellt, die Wände teilweise bis zum Gewölbeansatz hochgezogen sowie die Sakristei eigedeckt. Nun hieß es abwarten. Bereits im März 1919 beschloss man trotz Teuerung weiterzubauen. Gut 250.000 Reichsmark waren eingeplant. Für die Sicherheiten verbürgte sich der Gesamtverband der Katholischen Kirchengemeinden, dem wirtschaftlichen Verbund der Katholischen Pfarreien in Berlin und Umland. Also kam der Bau gut voran und am 26. Oktober 1919, konnte der Fürstbischof von Breslau, Adolf Kardinal Bertram die Konsekration der Kirche vornehmen.

Der Architekt August Kaufhold

August Alois Stephan Kaufhold wurde am 11. Dezember 1871 in Düsseldorf geboren und verstarb in Berlin-Charlottenburg am 13. April 1941. Kaufhold soll zeitweise mit seinem Bruder Josef, der als Architekt in Düsseldorf tätig war, zusammengearbeitet haben. Er taucht im Zusammenhang mit katholischen Bauten zwischen 1906 und 1930 auf. Dabei sind elf ausgeführte Arbeiten von ihm im Berliner Raum bekannt. Die erste fertiggestellte Kirche war St. Eduard in Berlin-Neukölln (1906/07), die letzte Erwähnung findet Kaufhold hinsichtlich einer Kirche für Gollnow (1930).

St. Eduard war anscheinend sein erster wichtiger Bau. Für diese Kirche erhielt er Referenzen und bewarb sich damit um die Planung für eine Kirche in Wriezen 1910. Dort kam es mit Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Christliche Kunst in München zu einem deutschlandweiten Wettbewerb, den Theodor Sohm aus Darmstadt für sich entschied. Kaufholds Kirche in Garz auf Rügen steht am Anfang einer in der Region rezipierten Staffelarchitektur, die vom erhöhten turmhaften Giebel über das Kirchenschiff bis zum Choranbau hin abtreppt.

Beschreibung des Außenbaus

St. Marien von außen, heute, mit später rechts hinzugekommenen Wohnungsbau, Foto: K. Manthey 2022

Das auffällige ist der durch einen zurückgesetzten Eingangsbereich aus der Straßenschlucht genommene Bau. Welcher darüber hinaus eine leichte Schrägstellung erhielt. Durch die vorgesetzten assymetrischen Gebäudeteile wirkt der Bau wie „über Generationen gewachsene Architektur“, schreibt Harold Hammer-Schenk (Kirchen zw. 1919 u.33, in: B. u. seine Bauten, Tb6, S. 135). Dabei stellt der Architekturhistoriker eine Verbindung zum Märkischen Museum von 1907 her. Dort hatte Stadtbaurat Ludwig Hoffmann einen belehreneden Kompositbau erstellt, der im Rückgriff auf verschiedene historische Baustile bezüge zur märkischen Bautradition hergestellt.

Außenansicht der Kirche von der Seite, historische, colorierte Fotopostkarte um 1920, Q: Slg. Manthey

Dabei hatte August Kaufhold mit einigen gotischen Einsprengseln, wie den hellgetünchten Putzblenden, einen romantischen Backsteinbau errichtet. Dessen Bauzier bereits einen Übergang zur Zwischenkriegsmoderne andeutet. Zudem ist der Bau genordet, da nur so die Lage optimal auszunutzen war. Übrigens, hatte der Friedenauer Kirchenbauarchitekt zuvor bereits sieben Entwürfe angefertigt. Leider kenne ich diese nicht. Ein Vergleich wäre sicherlich reizvoll. Während der Querriegel des Turmsockels nach Osten mit einem Stufengiebel endete, verband ein Torbau mit kleinem Turm Kirche und Pfarrhausbau.

Außenansicht der Kirche mit Stufengiebel rechts, historische Fotopostkarte um 1928, Q: Slg. Manthey
Grundriss der Kirche, daran ist die Schrägstellung zur Straße jedoch nocht ablesbar, Q: BSK 1980

Der Innenraum und die heutige Ausstattung

Altarraum von St. Marien, Foto: K. Manthey 2022

Beim Betreten des Kirchenbaus, eröffnet sich eine dreischiffige Pfeilerbasilika. Dieser Bautyp verbindet ebenso romanische und gotische Elemente. Beispielsweise sind die Bögen und Fenster zwar spitz zulaufend, doch von geringer Höhe. Nichtsdestotrotz hat die Kirche St. Marien eine beeindruckende Raumwirkung.

Blick von der Empore zum Altar, gut zu erkennen sind die steinsichtigen Gewölbe, Foto: K. Manthey 2022

Die Rippengewölbe sind mittlerweile backsteinsichtig. In der Breite des gesamten Kirchenschiffes befindet sich ein Querhaus vor dem polygonalen Chor. Dort ist die Vierung stark ausgeprägt und überspannt wirkungsvoll den Bereich vor dem Altar.

Stockmann-Orgel, Foto: K. Manthey 2022

An der östlichen Querhauswand befindet sich seit 1980 eine Stockmann-Orgel (Fa. Aus Werl) mit 2626 Pfeifen in 34 Registern. Eine erste Orgel von Steinmeyer stand ab 1924 auf der Empore. Dort konnte aus statischen Gründen das neue größere Instrument nicht Platz finden. Dafür ist seit 2009 ein kleines Instrument für die Chorbegleitung dort aufgestellt. An St. Marien hat der Diözesanmusiker Martin Rathmann seinen Dienstsitz und leitet dort auch die Kirchenmusik.

Weitere Bildwerke in St. Marien

Ehemalige Hochaltarflügel, Foto: K. Manthey 2022

Gegenüber der Orgel befinden sich heute die beiden Flügel des ehemaligen Hauptaltars mit Szenen aus dem Marienleben (Tempelgang, Vermährung, Flucht n. Ägypten und als Hl. Familie). Der Altarraum schließt an die Vierung an.

Marienikone von Bernitzky, Foto: K. Manthey 2022

Eine erste Renovierung wurde vor allem durch den Berliner Kirchenmaler Fritz Bernitzky um 1955 durchgeführt. Von ihm stammt u.a. die Marienikone sowie ein Kreuzweg. Der heutige Kreuzweg ist von dem Berliner Bildhauer Rudolf Heltzel (1907-2005) als ungefasstes Eichenrelief geschnitzt und aus dem Jahr 1957.

Altarraum und Fensterwerk

Der Altar, der Ambo und die Stele an der rechten Querarmstütze stammen aus dem Jahr 1969 und von Paul Brandenburg (1930-2022) und werden als Symbole eines „nicht darstellbarer Gott“ gesehen (Kirchenführerheft, S. 16). Aus dem selben Jahr stammt die abstrakte Farbverglasung nach einem Entwurf von Johannes Beeck (1927-2010). Der Glasbildzyklus befasst sich mit dem Thema: „vom Dunkel der Welt zum Licht des Himmels“, die reduzierte Farbpalette beschränkt sich vor allem auf die marianischen Farben blau und rot. Noch 1946 waren 18.000 Glassteine als Fenster verbaut worden. Nachdem Bombensplitter und Artillerie-Beschuss die Kirche 1945 stark beschädigten.

Die Kirche vor 1969, historische Fotopostkarte, Q: Slg. Manthey

Der große Umbau nach den Regeln der neuen Liturgie wurde vom Wiesbadener Architekten Paul Johannbroer (+1985) geleitet. Von ihm stammte ebenfalls der Kirchenneubau Maria Regina von 1963 für das Kloster Zum Guten Hirten in Reinickendorf, der Keimzelle der Kirchengemeinde. Welches 1983 aufgelöst wurde und heute ist dort der Sitz des Caritasverbandes Berlin.

Ehemalige Klosterkirche, heute Teil des Caritas, Foto: K. Manthey 2021

Die Metallarbeiten im Altarraum von St. Marien kamen 1972 hinzu. Neben den Leuchtern auch ein Bronzekreuz an der Wand. Es symbolisiert mit seinem gespaltenen Stamm die Trennungen in der Welt, der Christenheit, der Stadt Berlin sowie der Gemeinde selbst. Denn ein Teil der Pfarrei lag in Wilhelmsruh im Osten Berlins. Werner-Jakob Korsmeier (1931-2020) aus Münster schuf diese Skulptur.

Kreuz von Korsmeier, Foto: K. Manthey 2022

St. Marien: Historischer Raum und weitere historische Ausstattung

Historischer Innenraum, historische Fotopostkarte, Q: Slg. Manthey

Der ursprüngliche Raum war reich ausgemalt durch den Kirchenmaler Ferdinand Busch. Dessen Bruder Carl fertigte die ersten Kirchenfensterbilder. „Der große Gedanke, der die Ausschmückung durchzieht, ist die Gesamtverherrlichung der Mutter Gottes.“ (Germania vom 27.10.1919, zit. n. St. Marien. 100 Jahre Kirchweihfest, Berlin 2019, S. 19). D.h. in den Fenstern waren Marienszene zu sehen wie die thronende Himmelskönigin oder der glorreiche Rosenkranz. Ob der Klappaltar, der das Zentrum der Kirche bildete ebenfalls von Ferdinand Busch stammt, ist bisher unklar. Dort wo heute der Tabernakel ist war einst eine Maria-Trost-Figur. Schon vor dem Krieg war in der östlichen Seitenkapelle der Taufort.

Beeindruckend ist weiterhin die Kopie nach Gentile da Fabriano, Anbetung der Könige von 1423, heute in den Uffizien. Es wurde von Eugenio Capelli, 1907 geschaffen und zeigt den zentralen Bildausschnitt. Das Gemälde ist in Öl – und Schablonendruck ausgeführt und fasziniert trotzdem auch im dunklen Seitenschiff. Im Seitenschiff gegenüber ist eine barocke Fußwaschungsszene aufgehängt. Ebenso befindet sich die Kopie einer „schönen Madonna“ aus dem frühen 15. Jahrhundert.

Würdigung der Kirche St. Marien in Reinickendorf

In und an St. Marien in Reinickendorf Ost gibt es baulich und historisch noch vieles zu entdecken. Es ist ein Sakralbau der Übergangszeit und somit für die katholische Kirchenbaugeschichte des Berliner Raumes von besonderer Bedeutung. Die Gemeinde ist mittlerweile Teil der Großpfarrei St. Klara im Reinickendorfer Süden. Trotzdem ist ein vielfältiges Angebot vor Ort. Sie zählt zu einer meiner späte Entdeckungen und ist gleich ganz nach oben gerückt. Ein feines Stück Berliner Architektur in Reinickendorf zwischen Trubel und Ruhe steht die Kirche seit 104 Jahren und freut sich auf Besuch.

Blick zur Empore, Foto: K. Manthey 2022

Links

Geschichtsseite der Gemeinde: https://www.stmarien-berlin-reinickendorf.de/geschichte.html

Artikel auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/St.Marien(Berlin-Reinickendorf)

Weitere Fotos bei Alle Kirchen Berlins von innen: https://allekirchenberlins.wordpress.com/2018/02/17/145-st-marien-reinickendorf/

One comment

Leave a Reply

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen