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Zu den heiligen Schutzengeln, Hennigsdorf

Die Schutzengel-Kirche in Hennigsdorf ist unscheinbar. „Innen: Nüchterne, architektonisch anspruchslose Rechteckhalle“, schrieb Dr. Christine Goetz in ihrer Inventarisierung. Wenn wir auf den heutigen Bau schauen, stimmt das. Dennoch die Geschichte des Baus ist ebenso interessant, wie die Wirkung des Kirchsaales mit seiner zurückhaltenden, rau gearbeiteten Ausstattung heute. Zumindest ist von hier einiges Ausgegangen. Daher wird der längere Teil dieses Beitrags die Geschichte der Gemeinde und ihrer Kirchbauprojekte und vor allem die Geschichte für das Bistum Berlin sein.

Glockenturm, erbaut 1986, Glockenweihe 1990, Foto: K. Manthey 2023

Über Hennigsdorf

Heute ist Hennigsdorf eine Amtsfreie Mittelstadt im Brandenburgischen Landkreis Oberhavel nördlich Berlins. Erstmals 1375 als „Heynekendorp“ urkundlich erwähnt, war der Ort lange Zeit ein einfaches Fischer- und Kossätendorf. Um 1913 kam es zur Ansiedlung der AEG. Dort gab es viel günstiges Land vor den Toren der Hauptstadt. Es ging um Flugzeugteilebau und Lieferungen an die kaiserliche Armee. Kurzum Stahlverarbeitende und Maschinenbau-Industrie.

Auszug aus der „Stadtplanung“ von Dr. Siedler, 1925, Q: PfAr Hennigsdorf

In den 1920er-Jahren gab es weitreichende stadtplanerische Versuche Hennigsdorf zu vergrößern. Ein Entwurf zur Neuordnung und flächenhaften Blockbebauung kam von PD Dr. Eduard Jobst Siedler (1880-1949). Er war seit 1943 ordentlicher Professor an Technischen Universität Berlin.

Zu DDR-Zeiten waren über 8.500 Beschäftigten im wichtigsten Industriebetrieb der Stadt,  dem Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf (hervorgegangen aus der AEG), tätig. Ebenso gab es seit 1913 Lokomotivenbau bei AEG, bis heute als ein Betriebsteil von Alstom (ehem. Bombardier). Somit wuchs der Ort von rund 900 Einwohnern 1875 auf fast 25.000 um 1990. Also erhielt Hennigsdorf 1962 Stadtrecht.

Benefizkonzert des Kirchbauvereins 1913, Q: PfAr Hennigsdorf

Geschichte der katholischen Gemeinde

Die Muttergemeinde ist St. Joseph in Velten. Für Hennigsdorf gab es einen Kirchbauverein seit 1913. Es waren vor allem katholische Arbeiter der AEG. Ebenfalls gab es einen polnischen Arbeiterverein, mit dem man zusammenarbeitete. Schließlich gab es seit 1922 regelmäßige Gottesdienste. Zunächst in einer Fabrikhalle, dann werktags in der Leichenhalle und sonntags in einem umgebauten Pferdestell. 1925 schenkte die AEG das heutige Grundstück. Doch es gab zuvor anscheinend andere Optionen, u.a. im Rahmen der unrealisierten Siedlungsplanungen.

H. Fitz: Ansichtszeichnung 1. Kirche, 1925, Q: PfAr Hennigsdorf

Als erstes entstand 1925 eine Kapelle von Heinrich Fitz, es folgten 1926 Pfarrhaus sowie 1931 das Gemeindehaus mit Gesellenzimmern. Dies wurde durch die Kolpingsfamilie organisiert. Später wirkten dort Borromäerinnen. Sie richteten 1934 einen Kinderhort ein und betrieben diesen bis zu ihrem Weggang 1960. Der Kindergarten besteht bis heute. Dort wurde übrigens auch Manfred Krug als Kind betreut. Seit 1924 war Joseph Zawacki (bis 1955) als Geistlicher vor Ort. Da er am Schutzengelfest, 2. Oktober, hierher kam, wurde die neue Kirche den Heiligen Schutzengeln geweiht. Es entspann sich eine rege Gemeindearbeit, mit den Schwerpunkten auf Arbeiter- und Gesellen- sowie Kinder- und Jugendlichen Seelsorge. 1939 zählte die Gemeinde 3000 Mitglieder und zwei Priester (Kurat und Kaplan).

Innenraum der ersten Kirche, Q: PfAr Hennigsdorf

Drittes Reich: Der Hennigsdorfer Vorfall von 1934

Daraus entstand eines der wichtigsten Ereignisse in der Bistumsgeschichte. Seit Jahren gab es in Hennigsdorf große Jugendveranstaltungen, z.B. in den frühen 1930er Jahren einen Fackelumzug zu St. Martin (Na, sie ahnen es?): Am 25.3.1934 wurden die rund 1800 Teilnehmer einer Jungscharveranstaltung von der Hitlerjugend überfallen. Infolgedessen wurde im April das Katholischen Kirchenblatt, die Berliner Bistumszeitung, erstmals beschlagnahmt und 1938 dann endgültig verboten. Das Blatt hatte mit dem Titel: „Die Wahrheit über Hennigsdorf“ über den Vorfall berichtet. Ebenso wurde über die Berliner und sogar Reichsgrenzen hinaus darüber berichtet. So auch im katholisch-konservativen Luxemburger Wort. Einer Tageszeitung, die besonders in dieser Zeit kritisch auf das Geschehen in Deutschland blickte. Waren doch Annexionsbegehren Deutschlands deutlich und im Zweiten Weltkrieg auch vollzogen worden, dort fand man in der Ausgaben vom 8. Mai 1934 eine weitere zusammenfassende Erwähnung des Vorfalls als Reaktion auf NS-Propaganda:

„…1. Das Auftreten der Hitlerjugend erzwang ein vorzeitiges Abbrechen des Treffens. 2. Die Hitlerjugend gebrauchte während ihres Auftretens beleidigende Worte, wie „Pfaffengesindel“, und variierte in gotteslästerlicher Weise ein bekanntes Jugendlied folgendermaßen: „Grüß mir den Jesus noch einmal“ und „Schön ist der Jesus von 33 Jahren“. 3. Den Jungschargruppen wurde durch Hitlerjugend das Banner des Deutschen Reiches und ihre Jungscharbanner und Wimpel weggenommen.“

Luxemburger Wort, 8.5.1934

Somit war Hennigsdorf der Beginn einer lange andauernden Kette von Auseinandersetzungen mit den Nazis.

Erich Klausener bei seiner (letzten) Ansprache in Hoppegarten 24.6.1934
Q: https://edge.churchdesk.com/non/ckeditorlarge/public/o/3269/matthias_053_1934_klausener.jpg

Am 24.6.1934 sprach Erich Klausener auf dem 32. Märkischen Katholikentag vor 50.000 in Hoppegarten, die Katholische Aktion, eine Laienbewegung in der Kirche, war in Berlin stark. Sechs Tage später wurde er in seinem Büro von der Gestapo ermordet. Seitdem war vielen im Bistum und ebenfalls Pfr. Zawacki in Hennigsdorf klar, mit denen ist nicht gut Kirschen essen. Die die katholischen Jugendverbände und Arbeitervereine wurden nach und nach verboten oder gleichgeschaltet, bis 1936 war das erledigt. Der Geistliche sammelte Post von NS-Organisationen, auch wenn seinen Antworten nicht überliefert sind (wenn es welche gab) schien er kein „Fan“ der neuen Machthaber zu sein. Hennigsdorf war der Tropfen zumindest für die Berliner Katholiken, besonders ihre Leitung!

Einer der vielen Briefe von NS-Organen aus der Sammlung von Pfr. Zawacki,
seine Reaktion ist nicht überliefert, ob die Glocke(n) läuteten ebenfalls nicht. Q: PfAr Hennigsdorf

Zur Baugeschichte

Erste Kirchbauprojekte 1913/14 in Hennigsdorf

Aufgrund der vielschichtigen Entwurfs- und somit Ideengeschichte gehört Hennigsdorf katholischerseits zu den spannendsten Kirchenorten im Erzbistum Berlin. Der umtriebige Kirchbauverein sorgte für einen kleinen Wettbewerb. Außerdem scheinen Architekten von der Projektidee in Hennigsdorf gehört zu haben. Aufgrund eines Artikels von 1913 für einen Kirchenbauwettbewerb in Berlin, fand der Verein Architekten, die man anfragte. Bis 1914 gab es Skizzen-Einreichungen bzw. schriftliche Bewerbungen u.a. von: Carl Kühn, Max Hasak,
Clemens Lohmer, Carl Dirk und Johannes Kramer (er übernimmt später die Firma Bunning).Der Erste Weltkrieg brachte auch in Hennigsdorf die Neubauinitiative zum Erliegen.

Erneuter Versuch 1924/25

Im Rahmen der stadtplanerischen Überlegungen kam nun der Architekt Josef Weber ins Spiel. Er lieferte einen Kirchenentwurf mit Varianten bei den Nebengebäuden. Es wurde fest davon ausgegangen, dass dieses Projekt realisiert werden kann. Daher waren die Planungen und Absprachen weit fortgeschritten. Dennoch gab es ebenfalls einen Entwurf von Josef Scherer und Heinrich Aeppli aus Lichterfelde, zur gleichen Zeit. Beide Architekten bildeten von 1920-29 eine Bürogemeinschaft 1920-29. Ich vermute Weber wurde als bei der katholischen Kirche bekannter Baumeister bevorzugt.

Entwurf von Josef Weber, 1925, Q: PfAr Hennigsdorf

Zudem finden sich romanisch anmutende Pläne, und Planungen für eine Kirche im Heimatstil sowie Skizzen mit proportionalen Einzeichnungen der Sankt-Hedwig-Kirche in Berlin Mitte ohne Signatur im Archiv. Alles in allem ziemlich viele Ideen für Hennigsdorf, jedoch ohne ausreichende Finanzierung. Wie Carl Kühn, Delegaturbaurat, in einem Brief vom August 1929, zum ebenso angedachten Neubau des Gemeindehauses schreibt: „Es dürfte zweckmäßig sein, an dem Grundsatze festzuhalten, dass ein zu beginnendes Bauwerk durch Finanzierungsplan vorher gesichert ist.“ Schließlich muss der Kurat in Berlin zum Gespräch. Trotzdem blieb Zawacki unermüdlich, er organisierte Gelder und bettelte beim Bonifatiusverein in Paderborn, so wie viele Bittsteller dort, mit Erfolg: Ein Grundstück für eine Kapelle in Bötzow und Schönwalde sollten es werden.

Rückansicht von der Blumenstraße von der historischen Bausituation, Foto: PfAr Hennigsdorf

Hennigsdorfs erste Kirche

Schließlich realisiert ein örtlicher Baumeister Heinrich Filz einen einfachen Bau, mit gebrauchtem Holz im Fußboden und einfacher Ausstattung. Das Gebäude wurde später eingerahmt von den Gemeindebauten. Ein Dachreiter mit Kreuz verweist auf die sakrale Funktion. 1971 kommt Pfarrer Helmut Graefe und bleibt bis 1994. Er war zuvor Rektor des Christian-Schreiber-Hauses, dem Jugendhaus im Bistum, in Alt-Buchhorst (AB). Mit ihm erfährt die Kapelle eine einfache Umgestaltung für die neue Liturgie. Aufgrund der Baufälligkeit, dass Dach muss abgestützt werden, kommt es 1977 zum Neubau und Tailabriss mit viel Feierabendarbeit von Mitgliedern und Organisationsgeschick die  Kirche neuzubauen. Den Architekt hat er mitgebracht, Lothar Feitel, ihm ist die Kapelle in AB zu verdanken mit dem beeindruckenden Relief an der Altarwand von Werner Nickel.

Innenraum mit neuem Oberlicht, Foto: K. Manthey 2023

2015 musste das Dach erneut gemacht werden. Die Konstruktion wird neugebaut dieses Mal einen Meter höher. Es entstand ein neues Oberlicht in der Mitte und neue elektrische Beleuchtung.

Ausstattung

Zur Erstausstattung sollen zwei Schutzengelgemälde gehört haben, doch wo diese geblieben sind, kann ich nicht sagen. Bis heute ist die Orgel der Firma Berschdorf aus Neiße von 1941, mit neuer sehr schlichter Einfassung, im Einsatz. Zu Weihnachten 1977 fehlt noch die neue Ausstattung. Die Gemeinde behilft sich mit dem alten Sperrholz Altar und dem Tabernakel aus der Vorgängerkirche auch den Bänken fehlen nicht die Lehnen.

Die neue Kirche zu Weihnachten 1977, Foto: PfAr Hennigsdorf

Der Biesenthaler Künstler Friedrich Schötschel fertigte bis 1978 auf Entwurf des Architekten Feitel die Hauptstücke: Altar, Ambo und Tabernakel sowie Leuchter aus Hennigsdorfer Stahl in abstrakten rauen Formen. 2002 wurden durch den gleichen Bildhauer der Taufstein und Oster Leuchter hinzugefügt. Das größte Kunstwerk stammt auch von Schötschel. Es ist der Fenster mit bunten Rundgläsern. Sein Schöpfer sagte selber auf der Frage nach der Deutung: „Seifenlauge die sich vermischt“. Eine große stärke dieser Werke ist ihre hohe Abstraktion und unaufdringliche Ästhetik. Weitere Ausstattung ist das Kreuz in neubarocken Formen sowie der Kreuzweg mit grafischen Motiven.

Würdigung

Die „nüchterne, architektonisch anspruchslose Rechteckhalle“, hat alles was man braucht, für einen aktuellen Gottesdienst. Für mich funktioniert sie gut – besonders heute. Es ist ein Raum, der sich nicht anbiedert, der nicht überfüllt ist, künstlerisch aus einem Guss hilft mir die Kirche zu den heiligen Schutzengeln, mich zu konzentrieren und auf das wesentliche zu Fokussieren – auf die Gegenwart Gottes. Eine herzliche Empfehlung, auch wenn vielleicht nur für eine kurzen Moment!

Blick zurück, Foto: K. Manthey 2023

Links

Seiten der Gemeinde: http://www.kath-kirche-hennigsdorf.de/

Webpräsenz der Stadt: https://www.hennigsdorf.de/

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