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Herz Jesu, Torgelow (1932)

Torgelow in Vorpommern erfuhr Anfang des 20. Jahrhunderts ein starkes Bevölkerungswachstum. Grund hierfür war die aufkommende Eisenindustrie. So hielt der Pfarrer von Pasewalk 1904 den ersten Gottesdienst für Arbeiter und Eisenbahner. Bereits 1915 wurde eine Kapellengemeinde gegründet, die aus der Pfarrei Hoppenwalde herausgelöst wurde und nun Pasewalk zugeordnet war.

Entstehung der Gemeinde und der Weg zum Kirchenbau

Mit der Ernennung von Edmund Wende als ersten Geistlichen in Torgelow, vorerst mit Sitz in Blumenthal, kam das katholische Siedlerdorf Blumenthal zur Lokalie hinzu. Für Kuratus Wende war ein Großteil seiner Arbeit im aufstrebenden Torgelow zu verrichten. Somit bemühte er sich um den Ausbau des Kapellenhauses, das wahrscheinlich gleich nach dem Grundstückskauf 1907 errichtet wurde. Doch dem Bonifatiusverein erschien ein so teurer Ausbau ungerechtfertigt, wie dies Wende in einem Bettelbrief ansprach.

Die erste Kapelle im späteren Pfarrhaus, Q: PfAr Hoppenwalde, Bauakte Torgelow

Im Dezember 1929 schlug nun der Generalvorstand aus Paderborn vor, die vermietete Wohnung im Erdgeschoss des alten Kapellenhauses zu räumen. Im schlimmsten Fall hätte man das alte Gebäude nicht als Pfarrhaus nutzen können, dann hätte man den für geschätzte 40 000 M zu errichtenden Kirchenneubau mit einem kleinen neugebauten Pfarrhaus ergänzt.

Eine Kirche mit Lamellenspardach

Diesen Vorschlag befürwortete der Kuratus im Januar 1930 freudig. Von Paderborn aus plante man eine Baugruppe aus Kirche und Pfarrhaus jeweils mit Lamellendach. Aufgrund der Richtlinien schlug Sonnen vor, dass er Entwürfe liefern würde, während August Kaufhold aus Berlin den Bau betreuen sollte und die Anträge und Pläne, sozusagen pro forma, einreichen müsste, damit hätte man bereits gute Erfahrungen gemacht. Man hatte jedoch schon einen Architekten, Hermann Bunning, mit dem man seit zwei Jahren zusammenarbeite. Er und der Bauunternehmer vor Ort, Gustav Rambow, schlossen nun die Lamellendachlösung aus. Aufgrund dieses Schreibens und da keine aktuellen Pläne in Paderborn vorlagen, wurden noch keine Baugelder für Torgelow freigegeben.

Bunnings Kirchen-Entwurf

Hermann Bunnings Vorentwürfe zeigen eine verbundene Baugruppe. Zwar sind die überlieferten Plankopien nicht signiert, doch der Schriftwechsel ist eindeutig. Es kam öfter vor, dass ein Architekt Entwürfe lieferte und nur die Baufirma und der Bauherr auf den Plankopien vorkamen. An den vorhandenen Altbau schloss sich die achteckige Kirche an. Zur Straße hin bildete ein breiter Turm den Eingang. Durch einen Verbindungsbau, der als Sakristei gedacht war, wurde das neugeplante Pfarrhaus zur Linken des Kirchenbaus angebunden.

Hermann Bunning, Neubau Kapelle und Pfarrhaus in Torgelow, Grundriss, schwarz bestehendes Kapellenhaus, 1930.
Q: PfAR Hoppenwalde, Bauakte Torgelow

Aufgrund des dreieckigen Grundstückes waren die geplanten Neubauten, Kirche und Pfarrhaus in einem stumpfen Winkel an der Rückseite der Baugruppe angeordnet. Der Altarraum befand sich in nordwestlicher Richtung und war ein langgezogenes Halbrund mit einer breiten Öffnung in der Chorwand. Der Turm hätte ohne Helm eine Höhe von gut 13,5 m aufgewiesen. Doch fast 5 m waren durch ein sehr spitz zulaufendes Pyramidendach veranlagt. Hinsichtlich des wirkungsvollen Daches hatte jedoch bereits die Baupolizei eine Änderung eingezeichnet, wonach die Helm höhe verloren gegangen wäre und es ein sehr viel niedrigeres vollpyramidales Turmdach ergeben hätte.

Hermann Bunning, Neubau Kapelle und Pfarrhaus in Torgelow, Perspektivansicht, 1930. Q: PfAR Hoppenwalde, Bauakte Torgelow

Die überlieferten Pläne lassen ein klares, schlicht-modernes Ensemble vermuten. Ebenso gab das Bischöfliche Ordinariat die Bauerlaubnis. Man wartete auf eine Finanzierungszusage aus Paderborn. Am 23. August 1930 starb unerwartet der Architekt Hermann Bunning. Also kam das Projekt in Torgelow ins Stocken. Schließlich lehnten Geldgeber und kirchliche Stelle den Entwurf Bunnings posthum ab. Somit erhielt Carl Kühn den Auftrag zum Neuentwurf.

Lageplan, gut ersichtlich der Zuschnitt des Grundstücks, Zeichnung von Kühn, 1931. Q: PfAR Hoppenwalde, Bauakte Torgelow

Kühns Entwurf für Torgelow

Kühns Lageplan nahm übrigens die Vorgaben zur Ausrichtung der Baugruppe auf, welche vom Bonitfatiusverein und seinem Baugutachter Max Sonnen in Folge der Bunningentwürfe gestellt wurden. Dabei richtete der Diözesanbaurat die Kirche nordöstlich aus. Mit einem Verbindungsbau schloss dieser das vorhandene Gebäude an. Südöstlich plante er weiterhin ein neues Pfarrhaus.

Baubeschreibung der Kirche in Torgelow

Kühns realisierter Plan mit Ansichten und Längenschnitt zeigte einen Ziegelrohbau mit Dachziegeln. Im Nordosten setzte er einen niedrigen Turm über den Altar. Dessen zwei Seiten wiesen hochliegende Fenster auf. Unter dem Trauf erhielten beide kurzen Seiten je ein Schallloch und die zur Straßenecke gehende Turmbreitseite hatte zwei Schallöffnungen in gleicher Höhe.

Markant wurde hierbei die aus der Turmwand herausragende teilrunde Apsiswand hervorgehoben. Diese ging jedoch nur bis zu den Schallöffnungen des Turmes und erhielt im oberen Bereich durch spitzwinklige Ziegelmusterung eine Auflockerung. Dieses Gesims und das des Turmes wurde deutlich vorkargend gemauert. Sieben bzw. acht Mauerreihen ergaben somit eine gestufte, aber schräggestellte Bekrönung des Turms und des Apsisanbaus. An den hinteren Kirchenteil wurde ein etwas niedrigerer Eingangsbau gesetzt. Darüber wurden ein Raum und die Orgelempore untergebracht, jedoch nie eine Orgel eingebaut.

Innenraum, Blick zur Empore, Foto: K. Manthey, 2015

Innen

Der Innenraum der Kirche entstand als ein einschiffiger Saal mit einer Holztonnendecke, deren Balken längs verlaufen und durch „drei Hängebalken mit je einer Hängesäule gestützt“ werden. Im Plan bezeichnete Kühn dies als „gespundete Schalung“ (W. Sommer, Kühn 1993, S. 128).

Sieben Fenster beleuchten bis heute von jeder Seite das Kirchenschiff. Drei Pilaster artige Wandvorlagen gliedern den Raum und befinden sich unter den Hängekonstruktionen der Holztonne. Kühns Grundriss erlaubte im hinteren Bereich zweifensterbreit Platz für den Taufstein links und einen Beichtstuhl rechts. Erst dann begannen die Bänke, die bis an die Außenwände reichen und in der Mitte einen Gang bilden. Das Kirchenschiff ist innen ca. 8 m breit und 15,9 m lang. Hinter einem runden Triumphbogen skizzierte der Architekt einen Hochaltar, davor die Kommunionbank und linkerhand eine Kanzel. Diese wurden aus weitgefugtem Brandziegel gemauert.

Kühns Querschnitt durch die Kirche zeigte auch die Aufmaße. Die Wandhöhe war mit 4,77 m angegeben, darauf der 4,8 m hohe Turmaufbau und mit etwas niedrigerer Giebelhöhe das Satteldach des Kirchenschiffs. Zur Beheizung war ein Ofen geplant, der im hinteren Bereich stehen sollte und vom Vorraum aus zu beheizen gewesen wäre. Dieser wurde nicht eingebaut. Am Ende rechnete Rambow 23 200 M ab, bei einer Bauzeit (mit Winterpause) von Oktober 1931 bis Mai 1932. Später, so zeigen Einzeichnungen in den Grundriss, wurde eine Luftheizung gebaut. Die Kurzchronik vermerkt: „30.05.1937 Außenarbeiten fertig, innen noch kalt und leer.“ (Chronik zur Kirche, Aushang in Herz Jesu Torgelow).  Erst 1937 kam die Marienstatue, 1938 wurde im März das Altarbild in Sgraffito-Technik durch Hubert Schöllgen (1897–1978) fertiggestellt und 1942 ein Keramik-Kreuzweg von Georg Kemper aus München angeschafft.

Altarturm

Herz Jesu in Torgelow ist auch hinsichtlich seiner Außenform für Kühns Werk eine Besonderheit. Die Fenster und Schallöffnungen erhielten einen dreieckigen Abschluss. Vor allem ist jedoch der Altarturm interessant. Dieser knüpft, übrigens, an eine Idee Clemens Holzmeister an: Aus dem Laienraum nahezu unsichtbare Oberlichter belichten das geheimnisvolle Wandlungsgeschehen diffus. Daraus entwickelte sich im Werk Holzmeisters oft ein baulich hervortretender Chorturm, der nahezu gleichberechtigt neben dem Portalturm war. Denn er war der Lichtgeber, „das Bühnenhaus“ für das zentrale Geschehen der Messfeier (Achtleitner u.a., Clemens Holzmeister).Herz Jesu entstand zu einer Zeit, in der Carl Kühn als Bauleiter des Umbaus von St. Hedwig in Berlin-Mitte zur Kathedrale und der Behrenstraße 66 zum Bischöflichen Palais viel mit Holzmeister in Kontakt stand und sich offensichtlich mit dessen Bauideen und Thesen auseinandersetzte. Der Altarturm in Torgelow ist dafür ein Beleg.

Die katholische Gemeinde Torgelow heute

Mittlerweile wird die Gemeinde von der Pfarrei in Pasewalk betreut als Teil des pastoralen Raumes. Dieser ist auf dem Weg zur neuen Groß-Pfarrei Hl. Johannes Paul II. Übrigens lebt der zuständige Pfarrvikar für Torgelow in Ueckermünde. So wie bei vielen Diasporagemeinden im ländlichen Raum müssen neue Formen von Begegnung und Gemeinde erprobt werden. Denn die Zahl der katholischen Gläubigen verändert sich dort. Gleichwohl ist die Vielzahl der katholischen Kirchen, in den Orten und Städten an der Straße von Pasewalk Ueckermünde für mich ein beeindruckendes Zeichen der Regionalgeschichte. An der ca. 30 km langen Strecke liegen übrigens vier Kirchorte (Pasewalk, Viereck, Torgelow und Ueckermünde). Eine Kulturlandschaft in einer touristisch stetig nachgefragteren Gegend und somit eine interessante Aufgabe.

Hofansicht, Foto: K. Manthey, 2015

Missbrauch auch in Torgelow

Außerdem erreichte 2021 der Missbrauch Skandal die Gemeinde ebenso. Ein ehemaliger Pfarrer verging sich auch vor Ort an Schutzbefohlenen und wurde von der Kirchenleitung unter Alfred Kardinal Bengsch gedeckt. Die Vergehen wurden in der DDR sogar strafrechtlich geahndet und der Geistliche kam ins Gefängnis. Leider durfte er danach in einem anderen Bistum weiterarbeiten. Zudem entspann sich eine Legende, der Täter sei aufgrund seiner Widerständigkeit gegenüber dem Staat in Haft. Gleichwohl die Gemeinde konfrontiert sich mit dem Thema.

Aufbrüche

Es geschehen neue Aufbrüche. Darüber hinaus kommen durch die steigende Zahl von Katholiken aus Polen neue Impulse. Dafür steht die Arbeit des Begegnungszentrum „mia“ in Löcknitz. Dort wo man kurz zuvor eine Kapelle aufgab, entstand neues Leben, neue Gemeinschaft. Also auf dem Weg nach Usedom und bei einem Besuch am Haff lohnt sich der Blick auf die Region Nordöstlich von Pasewalk und ein Besuch in Herz Jesu, Torgelow.

Giebel an der Rückseite, Foto: K. Manthey, 2015

Wirkung und Beurteilung der Kirche Herz Jesu

Bis heute wirkt die Kirche in Torgelow würdevoll-schlicht. Außerdem sind die historischen Fenster in Teilen noch erhalten. Sie haben eine leichte Farbigkeit und zeigen christliche Symbole. Der gesamte Bau weist bauliche Klarheit auf. Darüber hinaus erinnert die Turmfront an Clemens Holzmeisters St.-Adalbert-Kirche. Hierfür gab es übrigens auch einen Entwurf von Kühn. Es scheint so als wäre dort Holzmeisters Idee ausprobiert worden. Etwas, das sich für Carl Kühn öfter feststellen lässt: er adaptiert Architekturideen. Der Diözesanbaumeister verwandte dort in Torgelow überdies eine Dachform, die er als geeignet ansah, der ursprünglich vom Bonifatiusverein geforderten Lamellenbauweise in Kosten und Nutzen gleichzukommen. Ob es sich beim ausgeführten Dach um die besprochene Bogenbinderkonstruktion handelt, ist nicht eindeutig.

Seitenansicht, Foto: K. Manthey, 2015

Links

Die Homepage der Gemeinde:
https://www.katholische-gemeinde-pasewalk-hoppenwalde.de/kirchen/herz-jesu-torgelow/

Beitrag zum Missbrauch:
https://www.tag-des-herrn.de/missbrauchsaufarbeitung-in-torgelow

Kirchenweihe durch Bischof Christian Schreiber, am 16.5.1932, Q: Herz Jesu, Torgelow, Bilderchronik

Verwendete Quellen

(Da dieser Beitrag aus den Materialen zu meiner Dissertation: Carl Kühn 1873-1942. Kirchen für das junge Bistum Berlin, 2021, stammt, kann ich hier unkompliziert die Quellen angeben, natürlich habe ich immer einschlägige Quellen :-))

Archiv des Bonifatiuswerks Paderborn (ABW), Akte Bistum Berlin, Torgelow; Pfarrarchiv (PfAr) Mariä Himmelfahrt, Hoppenwalde, Chronik von Blumenthal und Torgelow; Harald Schwillus / Matthias Brühe, Erzbistum Berlin. Eine junge Diözese in Langer Tradition, 2009 bes. S. 328; Ernst Meunier, Baumeister Bunning. Ein Gedenkblatt, in: Germania Zeitung für das deutsche Volk B (12. September 1930); Wolfgang Sommer, Das Schaffen des Architekten Karl Kühn im Bereich des Bistums Berlin in den Jahren 1910–1937. Eine Studie zum katholischen Kirchenbau, Diplomarbeit, Martin-Luther-Universität Halle 1993; Friedrich Achtleitner/ Wilhelm Holzbauer/ Herbert Muck (Hrsg.), Clemens Holzmeister. Akademie der bildenden Künste, Wien, 14.4.–20.5.1982 (Wiener Akademie-Reihe, Bd. 9), Wien 1982, S. 18; Bauten der Diözese Berlin, in: Deutsche Bauzeitung. Wochenschrift für Baugestaltung, Bautechnik, Städtebau, Siedlung, Wettbewerbe, Bauwirtschaft, Baurecht, N 61/62 (61/62), Berlin 1930, S. 11; Chronik zur Kirche, Aushang in Herz Jesu Torgelow.

Die Baustelle von Außen, Q: Herz Jesu, Torgelow, Bilderchronik

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